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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Schmerber, Hugo: Das "Konzert" im Palazzo Pitti in Florenz
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Wolf, Georg Jacob: [Rezension von: Georg Hirth (Hrsg.), Der Stil in den bildenden Künsten und Gewerben aller Zeiten, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0241

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201

ist vollständig in die Ecke gedrückt und coquettiert
mit dem Beschauer, ohne sich um die Szene zur
rechten Seite zu kümmern. Gronau hat dies eben-
falls bemerkt (Tizian S. 22), aber er meint, der
Jüngling müsse vorhanden sein, um der Figur
rechts das Gegengewicht zu halten und um in das
Bild einen farbigen Valeur zu bringen. Ja, er meint
sogar, dass wir, wenn die Ecke leer geblieben wäre,
eine Lücke empfinden würden. Man kann sich
leicht vom Gegenteil überzeugen, wenn man die
Figur des Jünglings auf einer Reproduktion ver-
deckt.
Aber wenn wir auch alle Ideen Gronaus zu-
geben, war es nötig, dass der Maler diese Figur
so stiefmütterlich bedachte?
Man betrachte den Arm, den hat ein Vittore
Pisano auch nicht schlechter gemalt, man betrachte
den Ausdruck der Augen und die Modellierung
der Wange. Man vergleiche diese Details mit der
Mittelfigur und dann blicke man auf die rechte Figur.
So wie sich der Jüngling in der Mache von der
Zentralfigur entfernt, ebenso nähert er sich dem
rechten Mönch. Der rechte Mönch ist ohne Zweifel
besser als der Jüngling, aber er erreicht nicht den
Spielenden. Dieser Spielende, welcher einen so
geistvollen Kopf zeigt, dieser Augustinermönch,
der eine so dominierende, ja ich möchte fast sagen
eine rücksichtslos beherrschende Position einnimmt,
gibt er uns nicht die Lösung für den Schöpfer
oder besser für die Schöpfer des Bildes.
Man beachte, wie breit sein Körper gebildet
ist, es scheint, als würde er sich nicht ohne Ab-
sicht dort so breit machen. Sein breiter schwarzer
Rock hatte vielleicht die Aufgabe, etwas zu ver-
decken, was ursprünglich dort gemalt war, und da-
durch rückte auch der Jüngling nolens volens in
den Hintergrund.
Mit einem Wort, ich meine, ein anderer Maler
hat die zwei Seitenfiguren geschaffen, und ein

anderer Meister die Mittelfigur gemalt. Die Meister
zu nennen und ihnen die Rollen zuzuteilen scheint
nicht schwer.
Es ist bekannt, dass Zeitgenossen die Bilder
Giorgiones vollendeten. Ich brauche nur zu
erinnern, dass Sebastiano del Piombo das Bild in
Wien „Aeneas und Evander“ vollendete und dass
heute ziemlich allgemein die Anschauung gilt, dass
die „Venus“ in Dresden ein gemeinschaft iches Werk
von Tizian und Giorgione ist.
Die ursprüngliche Komposition, die Idee, den
Gedanken des Werkes dem Meister von Castelfranco
zuzuschreiben, würde mit dem Grundzug seiner
gesicherten Werke harmonieren und für die Zentral-
figur Tizian als Schöpfer zu nennen, würde den
modernen Beobachtungen entgegenkommen.
Dabei wäre festzuhalten, dass sich Tizian
gewiss nicht voll an die ursprüngliche Idee an-
schloss,- denn die Mittelfigur ist in ihrem Körper-
bau so breit gehalten, dass sie sicher etwas
verdeckt.1) Was hiezu der Anlass war, zu be-
stimmen, ist natürlich unmöglich. Aber die Sache
ist leider nicht so einfach, denn, wie schon er-
wähnt, sind die beiden Nebenfiguren so schwach
ausgeführt, besonders der Jüngling, dass es nicht
recht möglich ist, an Giorgione zu denken. Sollen
wir alle Schwächen einer Uebermalung zuschreiben
— besonders die Augenpartien könnten dies ver-
muten lassen — oder sollen wir gar an eine dritte
Hand denken?
Ich wage keine Entscheidung, es genügt mir, auf
die Verschiedenheiten der Figuren und auf die domi-
nierende Stellung des Spielenden hinzuweisen; viel-
leicht gelingt es einem Glücklicheren, diese schwachen
Fäden zu einem festen Resultat zu vereinen.

1) Die Form des Körperbaues geht wohl auf den ersten Maler
zurück. Später mögen noch andere Hände dabei tätig gewesen sein. Der
Restaurator fand, dass das Gewand der Mittelfigur so stark überschmiert
ist, dass auch unmittelbar nach der Regeneration des Bildes die Falten
des Kleides kaum zu erkennen waren.

Der schöne Mensch in der Kunst aller Zeiten.*)
Von Georg Jacob Wolf.

„Der schöne Mensch ist natürlich der nackte;
mit dem nackten Menschen beginnen wir unsere
Publikation —- erstens, weil alle künstlerischen
Regungen von der Betrachtung des nackten Menschen
ausgegangen sind („Gott schuf den Menschen ihm
zum Bilde“), die menschliche Gestalt also die
Grundlage jedes kunstgeschichtlichen Schönheits-
kanons bilden muss; zweitens, um die ausübenden
Künstler an die Schönheit als kategorischen
Imperativ zu erinnern, und drittens, um in weitesten

Kreisen die auch physiologisch bedeutsame Ueber-
zeugung zu befestigen, dass die Wohlfahrt des
Menschengeschlechts nicht bloss von geistiger
Bildung, sondern auch von körperlicher Schönheit
und Kraft abhängig ist. Alle spezifisch-menschliche
Gesundheit, Stärke, Gewandtheit und Schönheit
stammen aus Zeiten, wo von der heutigen Nuditäten-
scheu noch keine Rede war.“
Das sind ein paar Sätze aus dem Prospekt,
in dem Dr. Georg Hirth die Gesichtspunkte darlegt,

*) Der schöne Mensch in der Kunst aller Zeiten. I. Serie des „Stils in den bildenden Künsten und Gewerben“. Herausgegeben von
Dr. Georg Hirth. G. Hirth’s Kunstverlag. München.
 
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