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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Rüttenauer, Benno: Andrea del Castagno
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Andrea del Castagno.
Von Dr. Benno Rüttenauer.

I.
Die Uffizien zu Florenz sind in jüngster Zeit
durch zwei neue Säle erweitert worden. Sie sind
beide im wesentlichen entstanden durch Ueber-
führung des ehemaligen Museums von S. Maria
Nuova nach der grossen nationalen Galerie. Der
eine hat seinen Namen nach Hugo v. d. Goes,
dessen Anbetung der Könige hier neu auf-
gestellt ist, womit sozusagen eine ganz neue Rang-
ordnung ihren Einzug in die alte Galerie gefeiert
hat, indem diese Könige durch ihren überirdischen
Glanz und unerhörte Schönheit der Farben viele
„Könige“ dieses Palastes bedenklich in den Schatten
stellen. Der andere neue Saal — früher die Archive
enthaltend — schliesst sich räumlich wie inhaltlich
an die drei älteren Säle der Toskanischen Schule
an. Auch er enthält in der Hauptsache einen Teil
des früheren Museums von S. Maria Nuova, darunter
das grosse, unvollendete jüngste Gericht von Fra
Bartolomeo, einen Botticelli (der auch von Fra
Filippo sein könnte), einen Fra Angelico, einen
Albertinelli und andere.
Am meisten fällt in diesem Saal, dem Eingang
schräg gegenüber, ein grosses Fresko in die Augen.
Es macht sich besonders bemerklich durch seine
wohlerhaltenen hellen und kräftigen Farben wie
durch die machtvoll plastischen Gestalten der ein-
fachen Komposition. Als Unterschrift trägt es:
Andrea del Castagno.
Dieser grosse florentinische Maler hatte seither
in den Uffizien gefehlt. Eines der kräftigsten und
ursprünglichsten Talente dieser an Malergrössen
so reichen Stadt konnte man seither — wie einige
andere noch immer — in dem ersten Ruhmes-
tempel des Vaterlands nicht kennen lernen, aus
dem einfachen Grund übrigens, weil ihre Thätigkeit
sich, ganz oder wesentlich, im Fresko erschöpfte.
Und so mag dieser Einzug Castagnos in die
Uffizien es rechtfertigen, dass wir dem Meister hier
eine eingehendere Studie widmen, ob wir gleich
selber überzeugt sind, nicht viel wesentlich neues
über ihn vorbringen zu können, einzig beseelt von
dem Wunsch, unser erhöhtes Gefühl von Teil-
nahme und Bewunderung und damit verbundenen
Genuss auch in andern zu erwecken oder zu
erneuern.
Es ist charakteristisch für Castagno, dass man
ihm keinen bestimmten und namhaften Meister
nachweisen kann. Selbst Vasari, der doch nicht

leicht in Verlegenheit kommt, wenn es gilt, solche
Verhältnisse festzustellen, verzichtet hier darauf.
Von Vasari ist ein Wort zu sagen. Man kennt
seine Neigung, skrupellos jeden Klatsch nachzu-
erzählen. Bei Castagno hat er diesem Hang in be-
denklichster Weise nachgegeben. Er beginnt dessen
„Vita“ mit einer Einleitung, die an moralischer
Entrüstung alles übertrifft, was man sich denken
mag. Castagnos Schlechtigkeit ist nach Vasari so
gross, dass es ihn schlechterdings unmöglich
dünkt, sie in Worten auszudrücken, vincenclo la
scelteratezza del fatto ogni virtü e forza di lingua
encorache eloguente. Und später, als er berichtet,
Castagno habe sich selber auf einem Bild als Judas
Ischariot abgebildet, fügt er hinzu: comme egli era
nella presenza e ne’ fatti.
Castagno soll nämlich, nach Vasari, seinen
Freund und Mitarbeiter Domenico Veneziano aus
Neid meuchlings ermordet haben. Vasari bringt
diese Mordgeschichte mit einer solchen Ausmalung,
dass ein Roman oder eine Jahrmarktsromanze sie
nicht ergreifender geben könnte. Indessen aber hat
sich bekanntlich herausgestellt, dass Domenico vier
Jahre nach Andreas Tod gestorben ist. Aber auch
psychologisch liesse sich Castagnos Neid auf
Domenico schwer erklären. Wir kennen zwar von
diesem Künstler nur ein beglaubigtes Bild, ein
Altarwerk, in den Uffizien, und dieses ist stark
restauriert. Burkhardt ist geneigt, ihm noch einige
Bildnisse zuzuschreiben, das sind aber nur Ver-
mutungen. Nun darf man freilich von jenem ein-
zigen Bild in den Uffizien nur sehr vorsichtig
Schlüsse ziehen auf die Gesamtleistung des
Meisters; keinesfalls aber wird man daraus folgern,
dass diese geeignet sein konnte, den Neid eines
Castagno herauszufordern. Die mangelhafte Körper-
lichkeit der Gestalten und vor allem die geringe
Individualisierung der Köpfe auf dem Bild des
Veneziano sind Dinge, die in Castagno eher ein
mitleidiges Lächeln als Neid erwecken mussten.
Soweit man überhaupt, wie gesagt, aus dem einen
Bilde Schlüsse ziehen darf, scheint Veneziano mehr
unter dem Einfluss des Fra Angelico oder gar
noch der Sienesen gestanden zu haben, als unter
dem des Masaccio. Und nicht einmal auf den
wunderbaren und einzigen Angelico kann man sich
Castagno neidisch denken. Eher mag man an-
nehmen, dass er ihn nicht zu würdigen wusste,
dass ihm alles Verständnis für dessen Wert und
Bedeutung gefehlt habe.

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