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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Rüttenauer, Benno: Andrea del Castagno
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0159

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126

Nun weiss Vasari wohl einen besondern Grund
für den Neid Castagnos auf Veneziano. Dieser
soll bereits das Geheimnis gekannt haben di
dipingere a olio ehe encora in Toscana non si
sapeva.
Ob dem wirklich so war, lässt sich heute kaum
feststellen. Das mehrfach genannte Bild ist zu
stark restauriert, um hierfür einen sicheren Anhalt
zu bieten. Wenn es Burkhardt dennoch scheint,
„als ob der Künstler sein Hauptstreben darauf
verwandt hätte, durch Zusatz von Firniss seinen
hellen Farben eine ähnliche Leuchtkraft und
Plastik zu geben, wie die Eyck . . so steht er
dabei wohl unbewusst unter der Suggestion
Vasaris.
Und mag Veneziano immerhin die neue
Technik gekannt und geübt haben, Castagno war
zu ausschliesslich Freskomaler, als dass ihn diese
Neuerung sehr anfechten konnte. Sein Streben
ging zu ausschliesslich auf Lösung des Raum-
problems aus, er war als Maler in zu hohem
Grad und zu einseitig Plastiker und Virtuos der
Zeichnung, als dass ihm die materielle Schönheit
der Farbe so am Herzen liegen konnte, wie Vasari
annimmt.
Immerhin mögen Vasaris Beschuldigungen
nicht ganz und gar aus der Luft gegriffen sein.
Dieser Castagno mag in der That als Mensch eine
gewaltthätige Natur gewesen sein, so eine Art
Benvenuto Cellini. Eine gewisse Brutalität mag
ihm eigen gewesen sein. Wenn man je vom Werk
auf den Schöpfer schliessen darf — was aber gleich
bei Cellini und seiner zierlichen Hinterlassenschaft
nicht der Fall ist —, so war dieser Castagno, über
dessen Leben so viel wie nichts bekannt ist, ein
Mensch von ausserordentlich starken sinnlichen
Trieben, die sich aber, ähnlich wie bei Michelangelo,
in kraftgenialische Aeusserungen im Schaffen, in
erhöhte künstlerische Energie umsetzten.
Eine gewisse Roheit in der Natur dieses
Künstlers war aber für die Entwicklung der
florentinischen Malerei geradezu ein Glück, wie
später ausgeführt werden soll.
II.
Wenn Vasari, von unbegründeten Legenden
beeinflusst, den Menschen in Castagno direkt un-
gerecht behandelt, so lässt er dafür dem Künstler
volle Gerechtigkeit widerfahren. Schon von seinem
ersten Jugendwerk sagt er ausserordentlich charak-
teristisch: Era gagliardissimo nelle movenze delle
figure e terribile nelle teste de’ maschi e delle
femmine ... Er hätte die Wörter nicht treffender
wählen können. Terribile und gagliardissimo!
Vraiment, c’etait un gaillard, würde man in Frank-
reich sagen. Ins Deutsche übersetzt: Nehmt alles
nur in allem, er war ein Kerl.
So bedeutende Werke von Castagno erhalten
sind, so scheinen doch die untergegangenen zum
Teil noch bedeutender gewesen zu sein. Hier vor
allem ist es interessant, Vasari zu hören. So rühmt
er eine Verkündigung in S. Maria Nuova, die als
ausserordentlich schön galt, per aver egli in quell’

opera dipinto l’angelo in aria, il ehe non si era
nisino allora usato. Dieses Bild konnte noch in
der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts der
Jesuit Richa bewundern, der besonders zwei Por-
trät-Köpfe darauf rühmend hervorhebt und der auch
von den Fresken Castagnos in S. Croce, die heute
spurlos verschwunden sind, noch von Augenschein
berichtet.
Vasari erkennt sehr richtig, was Castagno vor
allen seinen Zeitgenossen voraus hat, ein ungewöhn-
liches Raumgefühlundeine erstaunlicheBeherrschung
der Perspektive. Er berichtet von einem „Cane in
iscorto“, der über alles gelobt wurde. Durch seine
Verkürzungen überhaupt erregte Castagno, nach
Vasari, grosses Aufsehen, fe9e stupire gli artefici
fu . . . avendo condotto gli scorti con molto
meglior et piu moderna maniera, ehe gli altri
innanzi a lui fatto non avevano. In diesem Stück
kann sich Vasari in Aufzählungen nicht genug thun.
Er spricht von einem „Tode Mariä“. Die Bahre,
worauf die tote Maria ausgestreckt lag, war mit so
„unglaublicher Geschicklichkeitin der Verkürzung
dargestellt, dass sie, obwohl nur anderthalb Ellen
lang, eine Länge von deren drei zu haben schien“.
Der Maler-Architekt aus der zweiten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts mag eine derartige Geschicklich-
keit noch richtiger gewürdigt haben als wir, die
wir durch massenhafte Anbringung derselben in
nichtssagenden Bildern, uns viel gleichgiltiger da-
gegen verhalten. Vasari konnte das Neue und
Kühne darin noch lebhaft fühlen.
Dass er auch andere überraschende Verdienste
Castagnos richtig empfand, zeigt seine Be-
schreibung einer ebenfalls untergegangenen
„Geisselung Christi“. Auch hier muss Vasari, der
Architekt, wieder zuerst die Raumschöpfung als
solche bewundern und als für jene Zeit unerhört
lobpreisen . . . facendovi una loggia con colonne
in prospettiva, con crociere di volte a liste diminuite
u. s. w. Er vergisst aber darüber nicht den innern
Gehalt, le belle e sforzatissime attitudini di coloro
ehe flagellano Cristo, dimostrando cosi esse nei
volti l’odio e la rabbia, siccome pacienza e umilitä
Gesu Cristo . . .
Interessant ist, wie dieses Fresko unterging,
welches, wenn erhalten, sarebbe certo bellissima
fra tutte le cose d’Andrea. Es wurde nämlich, da
es wenig behütet war, von Kindern und anderem
Volk dadurch vernichtet, dass sie den jüdischen
Personen darauf das Gesicht, die Arme und andere
Körperteile so lang verkratzten, bis nichts mehr
vorhanden war, come se cosi avessero vendicato
l’ingiuria del nostro Signore contro di loro. Der
Pöbel ist überall derselbe.
Wie man sieht, ist Vasari nicht karg im Lob
gegen den Künstler Castagno. Er findet aber
Castagno schwach und unzulänglich in der Farbe.
Die „gentilezza nel Colorire“ spricht er ihm ab.
Er scheint auch damit nur ein allgemeines Gesetz
zu bestätigen. Denn fast immer haben Maler mit
überwiegend plastischen und raumbildenden Ten-
denzen die Farbe, als ihrem Zweck nicht direkt
dienlich, mehr oder weniger vernachlässigt. Ich
möchte aber dennoch behaupten, dass Vasaris
 
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