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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Rüttenauer, Benno: Vom Bamberger Dom und seinen Skulpturen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0113

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Vom Bamberger Dom und seinen Skulpturen.
Von Dr. Benno Rüttenauer.

Der Bamberger Dom regt zu mannigfachen Be-
trachtungen an. Eine sehr starke Wirkung übt er
im ersten Augenblick durch ein sozusagen Negatives,
durch seine stilrechte Gereinigtheit. Sie ist be-
kanntlich unter Ludwig I. erfolgt und mit ihr hat
sich unser Gefühl beim Betreten des Innern zuerst
auseinander zu setzen. Sie ist das erste, was uns
auffällt.
Und sie fällt unangenehm auf. Unser erstes
Gefühl ist eine Enttäuschung. Die Aussenerschein-
ung des Domes, gehoben durch die ausserordent-
lich günstige Lage, ist imposant im höchsten Grad.
Etwas Entsprechendes erwarten wir vom Innern.
Und in der That ist der Raum sehr bedeutend und
ist namentlich das Verhältnis der Länge zur Breite
und Höhe — hauptsächlich durch das Hineinragen
der beiden Chöre in’s Langschiff ein viel glück-
licheres, als in irgend einem romanischen Dom
Deutschlands.
Wir sind dennoch enttäuscht. Das sieht alles
so neu, so leer, so kahl aus. Das ist alles so ge-
leckt. Das ist alles so kalt. Kein warmer Farben-
ton. Noch weniger natürlich eine erwärmende Har-
monie von Tönen. Nichts wie grauer Stein. Man
fröstelt. Man fühlt sich wie in einem Keller. Man
hat vor allem das Gefühl, im ersten Augenblick,
in einen von kopierender Gelehrsamkeit errichteten
Neubau zu treten.
Das also ist das Ergebnis jener stilrechten
Reinigung, die Hunderttausende gekostet haben
mag, die unzählbare Kunstwerke in Holz, Stuck
und Stein, in Eisen und Edelmetal, die Wert-
schöpfungen dreier Jahrhunderte, in die Trödelbude
verwies, die eine lange Reihe stolzer Kirchenfürsten
mit ihren stolzen Denkmälern aus ihrem eigenen
Dom verbannte.
Ludwig I. würde sich sehr dagegen verwahrt
haben, aber es ist doch so, es ist recht eigentlich
ein protestantischer Geschmack, den hier der kunst-
liebende König zum Ausdruck gebracht hat. Nicht
viel anders hat der Protestantismus in früheren
Jahrhunderten katholische Kirchen gereinigt. Wahr-
haftig, der Bamberger Dom wirkt heute protestan-
tisch. Das Volk scheint so was auch zu fühlen.
Während man im Würzburger Dom mit seiner
katholischen Pracht immer eine Menge Andächtige
trifft, habe ich den Bamberger immer leer gefun-
den. Er ist auch, echt protestantisch, meistens bis
auf eine Thüre ringsum verschlossen. Uebrigens
fängt die Geistlichkeit bereits an, sich gegen den auf-
gedrungenen Geschmack aufzulehnen. Einen der
stilgerechten grausteinernen Altäre der Restauration
hat man jüngst wieder entfernt und durch einen
vergoldeten ersetzt. In seiner absoluten Isoliertheit

wirkt der nun aber wie ein einziges hochrotes Ge-
wand in einem sonst in Grau in Grau gemalten Bilde.
So viel über die Restauration und Reinigung
des Domes. Man muss schon davon sprechen.
Man muss sie denunzieren als abschreckendes
Exempel. Man muss immer und immer wieder
betonen, dass eine solche Restauration in der Haupt-
sache ein Zerstörungswerk ist — das wir leider
nur allzuoft sich wiederholen sehen. Ei, wenn ihr
kahl stilgerechte romanische Kirchen wollt; ihr seid
ja gelehrt genug, baut sie euch doch. Was braucht
ihr alte Herrlichkeiten zu zerstören und das Doku-
ment grosser selbstschöpferischer Jahrhunderte zu
vernichten. Baut Neues. Euere Gelehrsamkeit
erlaubt es euch ja. Zwar werdet ihr keinen Hund
damit vom Ofen locken. Alle Welt wird kalt bleiben
vor den Werken euerer kalten kopierenden Gelehr-
samkeit. Aber dennoch thut ihr Gutes, ihr fördert'
Handwerk und Geschäft und — das Lotteriewesen
obendrein.
* *
*
Kommen wir zu erfreulicheren Dingen. Das
sind die alten Skulpturen. Und hier möchte ich,
wenn man mir gestatten will, mein persönliches
Erlebnis voranschicken. Ich hatte früh Gelegen-
heit, die romanischen Skulpturen Südfrankreichs
von Arles und St. Gilles, von Vezelay und Moisac
an Ort und Stelle zu sehen. Heute sind sie zu
Paris im Trocadero in Abgüssen bequem zusam-
mengestellt, ebenso sind sie in Photographien
überall verbreitet; man kann also heut leicht eine
Anschauung von ihnen gewinnen. Ich hatte, als
ich damals, ganz jung, nach dem Süden ging, keine
andere Anschauungen vom Romanischen als die
der grossen rheinischen Dome. Diese bieten an
Skulptur fast nichts. Hier und da ein Kapitälchen
oder Reliefband mit symbolisch-phantastischen Tier-
oder Pflanzendarstellungen. Manchmal auch ein
phantastisches Menschen- oder Tierungeheuer, un-
motiviert irgendwo auf einem Gesims hockend.
Dass es innerhalb dieses Stils, aber in anderen
Gegenden, reiche plastische Werke gäbe, davon
hatte ich, anschaulich wenigstens, keine Ahnung.
Ganz unvermutet musste ich sie persönlich für
mich entdecken. Um so überwältigender war ihre
Wirkung auf mich. Ich hatte damit eine neue
Welt entdeckt.
Noch erinnere ich mich des religiösen Schauers,
der mich bei ihrem ersten Anblick überlief. Die
antiken Denkmäler, derentwegen ich die Reise unter-
nommen hatte und die mir anschaulich längst ver-
traut waren, traten plötzlich zurück vor dieser
ungeahnten, vor dieser neu entdeckten Welt, vor
 
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