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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Goldschmidt, T.: Die Darstellung der Verkündigung in der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0364

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293

Die Darstellung der Verkündigung in der Malerei.
Von T. Goldschmidt.

„Und der Engel kam zu Maria und sprach:
Gegrüsset seist du, Holdselige! Der Herr ist mit
dir, du Gebenedeiete unter den Weibern. Da sie
aber ihn sah, erschrak sie über seiner Rede und
gedachte: Welch ein Gruss ist das? Und der Engel
sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast
Gnade bei Gott gefunden.“
Es liegt ein solcher Reiz in dieser Legende,
in der Vorstellung, dass nicht Gott selber das
Mysterium verkündet, sondern die mädchenhafte
Schüchternheit Marias ehrend, seinen jugendlichen
Boten sendet; es ist etwas so Bestrickendes um
diese Vereinigung von Jugend und Unschuld, dass
die Darstellung durch viele Jahrhunderte die Phan-
tasie beschäftigt hat. Vom künstlerischen Stand-
punkt kommt die Verkündigung freilich erst im
13. Jahrhundert in Betracht. In den Mosaiken finden
wir sie nur-selten behandelt; denn das Thema passte
nicht in den Rahmen der starren musivischen Kunst.
Der Grundgedanke des byzantinischen Kultus war,
die ewigen Gottheiten als majestätische, feierliche
Wesen darzustellen, sie dem Menschen unnahbar
über der Erde thronen zu lassen, deshalb musste
alles vermieden werden, was einen Zusammenhang
zwischen Himmel und Erde herstellen konnte. Erst
das Auftreten der Mystiker, die Popularisierung der
Religion, die eine Brücke schlagen möchte zwischen
jenen ewigen Mächten zu den schlichten Sterb-
lichen, bringt die Verkündigung als ihr Lieblings-
thema in die Kunst. Denn was gibt es tröstlicheres
für die Menschen, die sich den Heiligen bisher nur
in Furcht und Schrecken genaht, was gibt es Er-
mutigenderes als der Gedanke, dass eine schlichte
Jungfrau zur Trägerin des Gottessohnes berufen
war, dass die göttliche Gnade sich zu ihresgleichen
neigte. So wird diese Darstellung ein Vorzugsthema
jener Zeit, die in überquellender, fieberhafter Em-
pfindung die Religion gleichsam zum zweitenmal
empfing, jenes Frühlings der Liebe, der auf die
Winterstarre der theologischen Gelehrsamkeit folgte.
Und es ist rührend, mit welch zartem keuschen
Reiz die Künstler die Szene ausstatten, wie sie den
Engel zeigen, erfüllt von dem feierlichen Ernst seiner
Botschaft und den einfältigen Glauben Marias, die
so kindlich scheu zurückschrickt. Grade das Be-
tonen des Menschlichen in der Madonna, das das
göttliche Wunder um so grösser erscheinen lässt,
ist bezeichnend für das religiöse Empfinden der
Zeit. Hauptsächlich von den Sienesen, von Simone
Martine, Lippo Memmi, Lorenzetti, Taddeo del Bar-
tolo, haben wir eine Reihe solcher Bilder. Gothisch

lang gestreckt heben sich die Gestalten vom Gold-
grund, geisterhaft blass und schmächtig sind sie
Typen jener mystischen Gedankenwelt, die sich
nicht an den Verstand, sondern an die Empfindung
wendet, die Seele des Betenden wie ein sanftes
Lied mit göttlicher Wonne erfüllen will. Dieser
lyrischen Auffassung der Sienesen tritt dann im
rationalistischen Florenz eine andere Gruppe gegen-
über, die das Thema dramatisch behandelt. Giotto
will keine Stimmung wecken, sondern das Erlebnis,
das sich einst zugetragen, von neuem vor den
Augen des Beschauers erstehen lessen. Hatten die
Sienesen das Mysterium versinnbildlicht, nur das
zitternde Erschauern der Menschenseele beim Nahen
der Gottheit zum Ausdruck gebracht, so malen die
Florentiner das Ereignis. Und ihre neue Auffassung
bedingt einen anderen Styl. Die körperlosen Ge-
stalten der Mystiker, der Goldgrund geben nicht
das Gefühl der Wirklichkeit; Giotto als erster malt
eine robuste Maria von Fleisch und Blut, so wie
er sie im täglichen Leben gesehen, verlegt die
Szene in eine bestimmte Räumlichkeit. Es ist eine
seltsame Beobachtung, dass er dazu keine gothische
Kirche wählt, sondern antike Tempclhallen, dass
dem Italiener noch nach einem Jahrtausend das
Gefühl der Feierlichkeit, des dramatischen Ge-
schehens unwillkürlich mit diesen Räumen verknüpft
geblieben. Weiter muss man bewundern, wie der
grosse Raumkünstler es versteht, dem Style Rech-
nung zu tragen, wie er die Personen mit ihrer
Umgebung in einen grossen Einklang zusammen-
stimmt. Die knieende Maria hat die Ruhe einer
antiken Statue, ihre Gestalt folgt den graclen Linien
der Architektur; wagerecht schwebt der Engel durch
die Oeffnung der Mauer, und die spinnende Frau,
mit der ebenso schlicht wie schön das Symbol der
Häuslichkeit gegeben ist, folgt in ihrer gemessenen
Bewegung der Form des Giebels. Puvis de Cha-
vannes, Giottos geistiger Erbe, hat uns erst wieder
jene grosse Einheit verstehen gelehrt, heute be-
greifen wir wieder, dass sich auch der seelische
Ausdruck dem Styl empfinden einzuordnen hat, dass
diese Maria mit so gefasster Ruhe die Botschaft
entgegennimmt, weil jeder heftige Ausdruck die
ernste Harmonie stören würde. In ähnlichem Sinne,
nur mit kleinen Varianten, finden wir dann die Ver-
kündigung bei der ganzen Giotto-Schule. Erst das
Quattrocento mit seiner veränderten Weltanschauung
bringt in ihrer Auffassung eine Wandlung. Der Hu-
manismus hatte den Menschen mehr Selbstbewusst-
sein verliehen, das Individualitätsbewusstsein des
 
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