Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

DOI article:
Goldschmidt, T.: Die Darstellung der Verkündigung in der Malerei
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0365

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
294

Einzelnen geweckt; dementsprechend wird das Ver-
hältnis zu den Gestalten der Bibel ein anderes. Hatte
man im Mittelalter Gott in Angst und Schrecken
verehrt, dann im Trecento in kindlicher Demut zu
ihm aufgeblickt, so ist man jetzt allmählich mutiger
geworden, verkehrt gleichsam vertraulicher mit
den Heiligen. ,,Gebet Gott, was Gottes, und dem
Menschen, was des Menschen ist!“ könnte über
der Schwelle des Quattrocentos stehen. Zugleich
zeigt sich der Einfluss des antiken Pantheismus in
einer veränderten Auffassung der umgebenden Natur;
nicht mehr als Vorhof zum Jenseits betrachtet man
die Erde, sondern beginnt sich darauf heimisch zu
machen, das Leben hienieclen zu geniessen. Und
diese neue Anschauung findet dann in der Kunst
ihren Ausdruck; auch hier ein Abbrechen mit dem
Styl der Vergangenheit, das Ringen nach einer
neuen Formensprache. Frisch und unbefangen tritt
man den alten Legenden gegenüber, gestaltet sie
frei nach eigener Weise, als seien sie früher noch
nicht dargestellt worden. Und so stark, so jubelnd
ist die Daseinsfreude dieser Jahre, dass sich dem
Künstler unwillkürlich die Jahrhunderte der Ver-
gangenheit in sein eigenes goldenes Zeitalter um-
dichten. Aus der Verkündigung wird eine Erzählung
aus dem Leben der Zeit, wichtig für den Forscher,
weil sich darin das Milieu, die Gebärdensprache,
das ganze Empfindungsleben des 15. Jahrhunderts
getreu erhalten hat. Norden und Süden waren in
gleicher Weise von diesem Rausch des Wirklichkeits-
gefühls überflutet, jedes Land, fast jede Stadt über-
setzt das Thema in den ihr eigentümlichen Styl,
so dass man daran die nationalen Unterschiede
studieren kann. Vergleichen wir nun die romanische
Auffassung mit der germanischen, so fällt uns zu-
nächst ein grosser Gegensatz ins Auge: die Räum-
lichkeit, in der die Verkündigung vor sich geht.
Beim Italiener eine offene Halle im Garten in der
freien Natur, finden wir beim Nordländer ein enges,
trauliches Gemach; jeder der Künstler malt aus
seinem Klima, aus seinen Lebensgewohnheiten her-
aus das, was ihm als das Selbstverständliche er-
scheint. Aber noch zwischen der Auffassung der
Deutschen und der Niederländer bestehen Ver-
schiedenheiten, freilich Nüancen, die sich schwer
in Worte fassen lassen, und die auch wohl nur der
Deutsche so stark empfindet. Denn in diesenWerken
tritt die liebenswürdigste Seite der deutschen Kunst,
das treuherzig Ungeschickte und doch so warm zu
Herzen Sprechende, in den Vordergrund; die Ver-
körperung germanischen Geistes, die deutsche Jung-
frau lebt in ihnen und verleiht ihnen ihren unbe-
schreiblichen Reiz. Wir sehen die blonde, züchtige
Mädchengestalt im Hause walten, wie sie fromm
in ihrem Büchlein liest, um dann in namenloser
Verwirrung den Engelsgruss entgegenzunehmen.
Auch in dieser Befangenheit liegt ein echter Zug
deutschen Wesens. Selbst der Engel ist davon er-
griffen, weiss sich nicht recht seiner Mission zu ent-
ledigen und streckt so täppisch schüchtern den Arm
aus, dass man, ohne den Zusammenhang zu kennen,
die Scene nicht verstehen würde. Eine einzige
Schule, Köln, die Stadt der mittelalterlichen Mystik,
macht in dieser Beziehung eine Ausnahme. In

Lochners wunderbarer Verkündigung des Dombildes
lebt noch der übersinnliche Glaube des 14. Jahr-
hunderts und verleiht seinen Gestalten jene ganz
unbewusste ätherische Grazie. Das beste Beispiel
für das 15. Jahrhundert ist wohl der Kupferstich
Schongauers in seiner knorrigen deutschen Gothik
und dem herben Reiz der Gestalten. Die schlanke
Lilie, des Engels Kranz mit seinen starrenden Zweig-
lein und das ziere Jüngferchen mit der heraus-
gebogenen Hüfte: ein einheitlicher Geist hat sie
geschaffen. Und deutsche Eigenart bekundet sich
dann auch in den Interieurschilderungen, wie wir
sie bei Schwarz v. Rotenburg, Deig, Multscher u. a.
finden. All diese kleinen Stübchen, die so voll-
gepfropft mit allerlei Hausrat, die so eng, so luftlos
dem Beschauer den Atem beklemmen, auch sie
gehören zum Charakteristikum der alten Deutschen,
sind freilich der Schatten auf dem lichten Bilde.
Denn in ihnen lebt das Spiessbürgertum, die ganze
dumpfe Abgeschlossenheit der damaligen Zeit. Es
ist überaus bezeichnend, dass die Fenster stets fest
geschlossen sind, sodass kein Luftzug von aussen
hereindringen kann , dass man nichts von der
übrigen Welt sieht. Hier ist einer der Hauptpunkte,
in denen sich der Niederländer vom Deutschen
unterscheidet. Denn der Niederländer, durch seinen
Handel in steter Verbindung mit der grossen Welt,
gibt gleichsam symbolisch den weiten Blick durchs
Fenster. Jan v. Eyk auf dem Genter Altarwerk
zeigt uns eine Strasse. Petrus Cristus lässt durch
die geöffnete Tür den anmutigen Lauf eines Flusses
verfolgen. Und gerade diese kleinen Ausschnitte,
die ferne, lockende Welt im Rahmen eines Fensters
gesehen, erzählen von einem schon ausgeprägten,
gourmethaften Landschaftsempfinden. Es offenbart
sich darin zum erstenmal das feine Naturgefühl des
Germanen, das einem schlichten Stückchen Welt
intime Schönheiten abzugewinnen vermag. Aber
nicht nur in dieser Verbindung mit der Aussenwelt
liegt der Unterschied zu den Deutschen, auch in
den Interieurs waltet ein anderer, weltmännischerer
Geist. Man empfindet, dass die Bewohner als grosse
Handelsherren ihre Sachen von weither beziehen,
es gelernt haben, die Einrichtung mit Geschmack
zusammenzustellen. In diese elegantere Umgebung
passen dann auch die wohlhabend behäbigen Men-
schen, die von dem guten Leben schon ein wenig
phlegmatisch geworden sind. Eyks prächtig ge-
kleidete Maria auf seinem Petersburger Verkün-
digungsbild hat nicht viel Gedanken hinter der
Stirn und lässt sich durch die himmlische Bot-
schaft nicht aus der Fassung bringen. Aber das
scheint begreiflich, denn der Engel mit seinem
selbstzufriedenen Lächeln, der sie zu sich heran-
winkt, hat nichts vom feierlichen Ernst des Gottes-
boten. Das Bemerkenswerteste an ihm ist die
kostbar ciselierte Krone und der prunkvolle Mantel,
der zu den Flügeln in seltsamem Gegensatz steht und
der ganzen Darstellung etwas Erdenschweres ver-
leiht. Doch dieser Missklang darf uns nicht verleiten,
den künstlerischen Wert der Werke zu verkennen, in
dieser liebevollen Behandlung der toten Natur spricht
zum erstenmal die Freude am rein Malerischen. Hier
liegen die Keime zur späteren Stillebenmalerei.
 
Annotationen