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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Haack, Friedrich: Zu dem "Ländlichen Konzert" im Louvre
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Seydlitz, Reinhard von: Nietzsche und die bildende Kunst, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0098

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ristisch — beim einen Akt der „Kinderspiele“ in
der Sammlung Lanckoronski, Wien (Klassischer
Bilderschatz Nr. 767).’)
Nicht die nackte Brunnenfigur und die gegen-
ständliche Aehnlichkeit allein sind es, welche das
„Konzert“ mit dem berühmten Gemälde der „Himm-
lischen und irdischen Liebe“ verbinden, sondern
ebenso sehr die Behandlung der Landschaft. Hier
wie dort spricht diese in einer für die damalige
Zeit unerhörten Weise im gesamten Stimmungs-
gehalt des Bildes mit. Eine gewaltige Baumkulisse
unterbricht die grosse Himmelsfläche, die ausser-
dem von zarten, noch quattrocentistisch empfun-
denen Stämmchen mit benachbarten Architekturen
durchschnitten wird und von je einem ganz cinque-
centistisch kraftvoll gegebenen Baumstamm. Dieser
wird vom oberen Bildrand jäh durchsägt, aber
seine belaubten Zweige begleiten diesen Bildrand
in reichen Schwingungen noch ein gut Stück und
mildern der Durchschneidung starre Kraft. Himmel
und Erde, Vordergrund und Mittelgrund, in dem
i) Hier erscheint mir übrigens Tizians Autorschaft, nach der Re-
produktion zu urteilen, wegen der geringen Vornehmheit in Linie und
Form, Auffassung und Gesichtsausdruck nicht über allen Zweifel erhaben.

sich kleine Tier- und Menschenfigürchen lebhaft
bewegen, sind vom mannigfaltigsten, Wärme sprühen-
den Licht- und Schattenleben reich erfüllt. Das
geht über alles hinaus, was der Träumer Giorgione
der Natur nachzuempfinden vermochte, und gerade
darin wurzelt die unsagbare Anziehungskraft wie
der „Himmlischen und der irdischen Liebe“, so
auch des „Konzerts“.i) 1)
Das „Konzert“ istaberauch ikonographisch inte-
ressant als Vorstufe zu Tizians Gemälden von der
Art des Liebesgartens im Prado zu Madrid: der
Mann in reichem Kostüm und in Ausübung der
Musik begriffen, das Weib lediglich in enthüllter
strahlender Pracht ihrer Glieder. Was beim „Kon-
zert“ durch Häufung von lebhaften Bewegungs-
Moitven, von Vorder- und Rückenansicht noch
etwas aktstudienmässig wirkt, hier ist’s vollendete
Naturwiedergabe, vollendete Schönheit geworden.
Friedr. Haack-Erlangen.
’) Für Giorgione spräche allerdings wieder beim „Konzert“ die
ähnliche Gesichts- (u. namentlich Nasen-) Umrisslinie der beiden Jünglinge
und des Jünglings der sogenannten Familie des Giorgione (Abbildg. a. a. O.,
Taf. 2). Doch kommt es mir hier weniger auf Attribution, als auf Be-
tonung des linearen, kompositionellen und geistigen Zusammenhanges
einiger venetianischer Hauptgemälde an.

Nietzsche und die bildende Kunst.
Von R. von Seydlitz.
II.

Dr. P. J. Möbius sagt einmal, Nietzsche habe
kein Verständnis für bildende Kunst gehabt') —
ein Ausspruch, den in seiner ganzen Ungeheuer-
lichkeit zu erkennen jedem ernstem Leser Nietzsches
leicht werden muss. Denn wenn auch überall fast
sich ein Widerspruch denken liesse — gerade dies
beweist eben wie intensiv Nietzsche nach Ver-
ständnis in diesen Dingen rang. Und wenn man
naturgemäss den Widerspruch laut werden lässt,
so erfüllt man damit einen sehnlichen Wunsch des
Denkers selbst, den er bei Lebzeiten leider ohne
jeden Erfolg aussprach (W., Bd. III. S. 96).
Als „Kunstkritiker“ im landläufigen Sinne ist
nun freilich der Denker nie zu nehmen, der „aus
der Seele der Künstler“ sprechen zu wollen in
einer Kapitelüberschrift erklärt (Werke, II, S. 155 ff ).
Das Kunstwerk bewegt ihn weniger als die ge-
heimnisvollen Vorgänge in der Seele des Schaffenden,
sowie dessen Verhältnis als Schaffender zur Welt;
1) Grenzfragen des Seelen- und Nervenlebens, XVII; Wiesbaden,
J. F. Bergmann, 1902.

zur Moral; zum Denken; zum Publikum, ja zu
seinem eignen Werk selbst. Das Sichklarwerden
über alle diese Beziehungen scheint es zu sein,
was er einmal (a. a. 0., S. 157) mit „Wissenschaft
der Kunst“ bezeichnet.
Von dieser nun behauptet er, sie müsse unter
anderm der Illusion widersprechen, als sei das
Kunstwerk das Werk eines inspirierten Augenblicks.
„Der Künstler weiss, dass sein Werk nur voll wirkt,
wenn es den Glauben an eine Improvisation, an
eine wundergleiche Plötzlichkeit der Entstehung
erregt.“ Und weiter (S. 170) scheint er dies zu
erklären: „Alles Fertige, Vollkommene wird ange-
staunt, alles Werdende unterschätzt“ u. s. w. —
Es ist nun kaum zu vermuten, dass der Künstler
mit Bewusstsein die Zuschauer von seiner Werk-
statt abhält, um sich und dem Werk mehr Ansehen
zu geben, sondern er folgt dabei instinktiv seinem
guten Recht: auch der Mensch tritt erst dann ans
Tageslicht, wenn er jede Spur embryonalen Zu-
standes abgestreift hat. Und das Kunstwerk, die
 
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