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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Escherich, Mela: Der Meister des Seligenstädter Altars
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0363

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292

Der Meister des Seligenstädter Altars.
Von M. Escherich.

In der Darmstädter grossherzoglichen Galerie
hängt ein sechs Tafeln umfassendes Altarwerk, das
nach seiner Herkunft der Seligenstädter Altar
genannt wird. Der Maler ist unbekannt. Thode
hat ihn in seiner Studie über die mittelrheinischen
Meister (Jahrb. d. pr. K Bel. XXI) als einen Schüler
des Meisters des Mainzer Marienlebens aufgeführt
und ihn ferner als unter dem Einfluss der Schon-
gauerstiche, sowie Holbein d. ä. stehend, charak-
terisiert. Die Entstehung des Altarwerks setzt er
auf etwa nach 1505. Diesen Ausführungen mich
im wesentlichen anschliessend, versuche ich hier
einige Notizen über den Meister anzufügen. In
gleicher Weise wie Schongauer scheinen mir
zunächst der Meister von Flemalle und E. S. auf
ihn gewirkt zu haben. Dass dieser Einfluss kein
persönlicher war, sondern ein durch ihre Werke
vermittelter ist anzunehmen. Die Stiche Schon-
gauers und des E. S. waren damals ja allgemein
bekannt; die Gemälde des Meisters von Flemalle
dürfte der Künstler auf der Wanderschaft in Köln
oder den Niederlanden gesehen haben. Es scheint
als ob der Meister die verschiedenen Eindrücke
ziemlich gleichzeitig gewonnen hätte, da sie sich
bei ihm gleichzeitig offenbaren. Zur Vergleichung
interessant ist besonders die „Geburt“ des Seligen-
städter Altarwerks. Die Madonna zeigt lebhaft den
Einfluss der drei obengenannten Meister. Man
vergleiche vom M. v. Flemalle die hl. Barbara des
Werlaltars und die stehende Madonna, das Kind
säugend (Frankfurt, Städel); bei beiden ist es die
ruhige Stellung mit der sanften seitlichen Neigung
des Hauptes, welche der Meister nachempfand und
in seine freilich viel plumpere Ausdrucksweise
übertrug. Daneben hatte er die Blätter der Strass-
burger Stecher vor Augen; des E. S. „Anbetung
der Hirten“ (Hauptbl. graph. Kunst Nr. 63) und
Schongauers „Geburt Christi“ (Hauptbl. graph. K.
Nr. 96), hier die steifere Haltung der Knieenden,
dort das üppige Gelock und die zierlichen Hände.
Daraus hat er nun seine Madonna gebildet. Sie
ist steifer als die Frauengestalten des Flemallers
und nicht so liebenswürdig wie die des E. S. Das
schöngemalte seidige Haar fällt fast ebenso wie bei
der Barbara des Werlaltars in reichen Wellen offen

an der rechten Schläfe und Schulter herab, der
Seitenprofilslinie dadurch einen wirksamen Hinter-
grund gebend. Dieses Motiv findet sich auch bei
Schongauer, aber wesentlich abgeschwächt, bei
E. S. überhaupt nicht.
Das Kind in der Seligenstädter „Geburt“ zeigt
wiederum den Einfluss des E. S. (vergl. dessen
Kind auf der „Anbetung der Hirten“). Doch tritt
hier auch noch ein anderer hinzu und zwar der
des jungen Dürer. Ich erinnere an dessen
„Liegendes Christkind“ von 1495 (L. 384) nach
Lorenzo di Credi kopiert. Zweifellos hat der
Seligenstädter Meister diese Federzeichnung gesehen
und die schöne Komposition reizte ihn ebenso in
der Kopie, wie Dürer im Original. Von dem
italienischen Original weicht das Kindlein des
Seligenstädters allerdings wesentlich ab. Man sieht,
dass er dieses nicht gekannt hat. Es ist schon mehr
das Dürerische, welchem der Meister nachstrebte.
Die leicht eingezogenen Beinchen sind freilich nicht
so behaglich rund geworden, wie auf dem Vorbild.
Sie ähneln mehr den schwächlichen Proportionen
des E. S. Der Oberkörper ist wieder — wie auch
bei dem Kind auf der „Beschneidung“ — Schon-
gauerisch steifer und durch die Dürer abgelauschte
halbsitzende Stellung wird diese Steifheit eine
schwächliche. Der nicht sehr glücklich modellierte
Kopf sitzt zwischen den Schultern eingesunken.
Auch hier zeigt sich der Versuch, Dürer nachzu-
ahmen. Aber wo dort eine köstlich weiche Linie
Kopf und Schulter verbindet, kam hier nur eckige
Unbeholfenheit zum Ausdruck. Wenn, wie Thode
fragweise annimmt, der Meister des Mainzer Marien-
lebens mit dem Frankfurter Martin Hess, den Dürer
erwähnt, identisch ist, so wäre wohl möglich, dass
der Meister des Seligenstädter Altars in der Werk-
statt des Hess als Schüler und Gehilfe gearbeitet
und dortselbst gelegentlich Dürer persönlich kennen
gelernt.
Eine zweite Möglichkeit wäre übrigens, dass
der Meister des Seligenstädter Altars, dessen Typen
ausgesprochen hessische (oberhessische?) sind,
selbst dieser Martin Hess wäre. Dann müsste
allerdings für den Meister des Mainzer Marienlebens
ein anderer Name ersucht werden.
 
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