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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Uhde-Bernays, Michael: [Rezension von: Robert Clermont Witt, How to look at pictures]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0346

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275

Besprechungen.

Witt, Robert Clermont, How to look at pictures.
London. G. Bell and sons. 1903. 173 S. 8°.
Preis 5 S.
Es würde sich wohl lohnen, auf das vorliegende
Buch nachdrücklich und ausführlicher hinzuweisen,
als dies hier in der bibliographischen Uebersicht
der Fall sein kann. Aus verschiedenen Gründen
verdient es auch in Deutschland die Beachtung zu
finden, die ihm in seiner Heimat zuteil geworden
ist, und die innerhalb weniger Monate das Erscheinen
einer zweiten und einer dritten Auflage bedingt
hat. Aber schon nach der Durchnahme weniger
Seiten drängt sich die Empfindung auf, dass diese
vollauf begreifliche Anerkennung wohl gerade von
dem Kreise ausging und innerhalb des Kreises
sich beschränkte, der nach der im Vorwort ausge-
sprochenen Absicht des Verfassers eigentlich aus-
geschlossen sein sollte. Wir lesen hier: „Dieses
Buch richtet sich an diejenigen, die kein genaues
Wissen über Bilder und ihre Schöpfung besitzen,
die aber an solchen Freude haben und deshalb
von Zeit zu Zeit Bildergalerien und Ausstellungen
besuchen/1 Hinzugesetzt müsste nun sein „vor-
ausgesetzt, dass sie sich auch die Gelegenheit
nehmen wollen, mit Ernst und Liebe die Geschichte
der Malerei von den.Anfängen bis zur Gegenwart
zu verfolgen, dass sie ferner bereits mit den Haupt-
werken und Hauptnamen einigermassen bekannt
sind.“ Wohl wird auf vier Seiten (13—17) in nuce
geschildert, wie sich von Giotto herab bis zur
letzten Ausstellung die Entwicklung der Kunst
vollzogen hat, so dass durch geschickte Darstellung,
durch Vermeidung zweckloser Einzelnamen der
vielverschlungene Pfad wie eine bequeme breite
Strasse aussieht, offen für jedermann. Aber nicht
lange währt es, und der harmlose Wanderer wird
Hindernis auf Hindernis treffen, er kommt in einen
völligen Irrgarten, wenn er nicht so schlau gewesen
ist, eine Kunstgeschichte mit gutem Register und
vor allem trefflichen Abbildungen mitzunehmen.
Dafür bietet sich ein grosser Genuss dem Kunst-
historiker und Kunstkritiker, der in dem vornehm
gehaltenen, sorgfältig ausgefeilten Stil sich erfreuend
auf der einen Seite Längstbekanntes, sogar Selbst-
verständliches gerne sich wiederholen lässt, auf
der anderen neue, fast dogmatisch vorgetragene
Prinzipien anzunehmen oder zu verwerfen gezwungen
wird. Halbheit ist ein grosser Fehler. Im Grunde
genommen nützt daher das Buch weder dem
Kunstkenner noch dem Laien, man wird den Ge-
danken nicht los, dass sein Autor — man verzeihe
das triviale Beispiel — sich gewissermassen zwischen
zwei Stühle gesetzt hat. An den Laien werden
viel zu hohe Anforderungen gestellt, und der
Kenner, dem nicht schon ungefähr der Inhalt ver-
traut .ist, durch das Studium vertraut ist, verdient
seinen zweifelhaften Lobestitel nicht. Welchen
Standpunkt soll nun die Kritik einnehmen? Welche

Kategorie kommt für ein Buch in Betracht, dessen
richtiger Titel hätte etwa lauten sollen: „Allge-
meine Erläuterungen im Anschluss an die Betrach-
tung von Bildern?“ Man würde entschiedenes
Unrecht tun, wollte man es in eine Linie stellen mit
rein populären Schriften. Die Arbeiten von
Schmarsow, Lichtwark, Obrist stehen freilich wieder
wesentlich höher. Fromentins eigenartiges, leider
wenig bekanntes Buch steht wieder für sich allein.
Vielleicht wird trotz seines Erfolges der Verfasser
sich zu einer nochmaligen Durchsicht entschliessen.
Vielleicht ist er nun so klug, bei der nächsten
Auflage sein Vorwort wegfallen zu lassen. Sobald
er ruhig eingestehen wollte: „Nachfolgende Aus-
führungen entspringen dem unleugbar vorhandenen
Bedürfnis, die grundlegenden Anschauungen, die
jedermann bei der Betrachtung von Bildern dann
sich zu eigen gemacht haben muss, wenn er als
durchgebildeter Kenner und sachverständigerKritike,r
dazustehen die Absicht hat, in leichtfasslicher Form
und handlicher Uebersicht zusammenzufassen und
kurz zu wiederholen“, würde sein Werk in richtiger,
heller Beleuchtung dastehen, die leider so fehlt.
Dann würden gerade diejenigen Stellen, welche
für eine scharfe Beobachtungsgabe sprechen,
besonders einschlagen. Das zuständige Forum,
bestehend aus zünftigen Kunsthistorikern, müsste
dann mit doppelter Freude die Kühnheit manches
Urteils, die prägnante Schärfe einzelner Verdikte
be'grüssen. In ihnen steckt eine ungewöhnliche
Erfahrung auf Grund einer absolut selbständigen
Beobachtung. Da wird nicht angebetet, was Pater
und Ruskin verkündeten, im Gegenteil. Ein Eng-
länder der es wagt, die Figuren in Botticellis Früh-
ling alls physisch unmöglich zu bezeichnen, der
den berühmten Tiermaler Landseer einfach als
Stümper verurteilt, da die Augen seiner Pferde
jenen so sehr anerkannten menschlich rührsamen
Zug tragen, der Greuze schablonenhaft nennt, ver-
verdient schon wegen seiner Kühnheit Anerkennung.
Und noch weiter. Die offene Wunde, an welcher
die gegenwärtige englische Malerei krankt, wird
schonungslos gewiesen: „So manches moderne
Bild gefällt lediglich infolge seiner illustrierenden
Eigenschaften, es erzählt eine Geschichte und
wendet sich statt an das Auge an das Gefühl.
Es ermangelt jeden ästhetischen Reizes und wahrer
künstlerischer Schönheit. Beispiele anzuführen ist
unnötig. Jede von unseren Jahresausstellungen ist
voll von solchen Bildern, die einen suggerierenden
Einfluss auf irgendwelche Leidenschaft ausüben,
durch Humor oder dramatische Motive wirken
wollen.“ Hier finden sich enge Berührungspunkte
mit Muthers Geschichte der englischen Malerei.
Hier wie namentlich auch bei Nennung der grossen
englischen Landschafter Constable und Turner.
Indes darf nicht übersehen werden, dass Urteile
wie das eben angeführte durch einen einseitigen
 
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