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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Gräff, Walter: Die vierte Ausstellung der Maler-Lithographen in Paris
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— 305 —

Die vierte Ausstellung der Maler-Lithographen in Paris.
Von Walter Gräff.

Die societe des peintres-lithographes hat ihre
vierte Ausstellung bei Durand-Ruel. Sie ist seit
1897, beeinflusst von den bei der Jahrhundertaus-
stellung der Lithographie gezeigten Kunstwerken,
mit Erfolg bemüht die alte Malerlithographie, die
bis in die 40 er Jahre den Ruhm der französichen
Lithographie vor allem ausmachte und die von
Malern wie Prud’hon, Gericault, Bonington, Dela-
croix, von Zeichnern wie Charlet, Raffet, Daumier
und Gavarni gepflegt wurde, Wiederaufleben zu
lassen.
Der Künstler geht davon aus, dass die Stein-
zeichnung genau die Impression des Künstlers
wiedergiebt, ohne dass er dabei den Zufällen aus-
gesetzt ist, die andere graphische Verfahren mit
sich bringen. Damit aber eine wahre Lithographie
und nicht nur eine vervielfältigte Handzeichnung
entstehe, genügt es nicht auf den Stein wie aufs
Papier oder auch gleich auf Ueberdruckpapier zu
zeichnen, sondern der Künstler muss die technischen
Ausdrucksmöglichkeiten des Verfahrens beherrschen;
dann ist er imstande etwas zu schaffen, was, so
wie es ist, nur durch die Lithographie erreicht
werden kann. Es stehen jeder der graphischen
Künste eigene, ihr allein innewohnende Hülfsmittel
zu Gebote und ihre vernünftige, sinngemässe An-
wendung wird in jedem Falle Effekte erzielen, die
dem betreffenden Verfahren allein eigentümlich sind.
Ich will nicht verkennen, dass in der Beherrsch-
ung der Technik eine grosse Gefahr für schwächere
Künstlernaturen liegen mag, die zu einseitiger Be-
tonung des Handwerks und seiner Truc’s führen
kann, dagegen ist auch nicht ausgeschlossen, dass
ein Künstler auch ohne tiefere Kenntnis des hand-
werklichen ein Kunstwerk zu schaffen imstande ist,
doch würde er mit dieser Kenntnis vielleicht ein
höheres geliefert haben.
Wenn weiter ein Künstler die Lithographie als
Ausdrucksmittel benützt für ein Werk, das er besser
oder leichter durch ein anderes Verfahren darge-
stellt hätte, so hat er sich im Mittel vergriffen.
Auch in diesem Falle ist vielleicht ein Kunstwerk
entstanden, aber auf einem Umweg, und das ist
ein Fehler. Zu diesen Erwägungen veranlasst
mich die Tatsache, dass fast die Hälfte aller Aus-
steller eine Art Gelegenheitslithographen sind, die
von der Technik wenig oder nichts verstehen.
Unter denen, die eine wirkliche Kenntnis des
Verfahrens haben, steht Albert Belleroche voran.
Leider ist er hier nicht so vertreten, dass seine
Eigenart in der richtigen Weise hervortritt, doch

seine Studienköpfe, zumal wenn man Einiges, was
er im Salon d’Autonne ausgestellt hat, hinzunimmt,
verraten einen eigenartigen Künstlercharakter und
einen Technicker ersten Ranges, der zugleich der
Schöpfer eines eigenen Verfahrens ist.1) Technisch
hervorragend, aber künstlerisch schwächer er-
scheinen mir Maurice Neumont und Patrice Dillon.
Bei beiden artet die Beherrschung der Technik
leicht in leere Manier aus. Bemerkenswert erschien
mir vom ersteren „Parisienne“ eine Dame in einem
Zimmer ganz von Licht umflossen und ein gut
modellierter Akt „Phryne“. Dillon stellt mit Vor-
liebe Zuschauerräume in Vorstadttheatern und
Strassenszenen in Buhots Art dar, seine Technik:
schwächere oder verstärkte parallele Schraffierungen,
die ähnlich auch Neumont anwendet, ist sehr ge-
eignet die Luftperspektive darzustellen; man sieht
ordentlich die Sonnenstäubchen.
Farbige Blätter brachten Riviere: einige der
„Ansichten vom Eifelturm“, seinem wunderbaren,
von Hokusai beeinflussten grossen Werke; man
fragt sich allerdings, ob sie in Holzschnitt ausge-
führt, nicht noch besser geworden wären. Weiter
Lunois: Theaterszenen mit etwas gewaltsamen
Farbenzusammenstellungen. Jean Veber, dessen
Humor leider entschieden unter technischen Schwie-
rigkeiten leidet; es ist eine grosse Gefahr, wenn
ein Künstler eigene Bilder reproduzieren will und
die grossen haben sich auch in der Regel davor
gehütet. Jedes Verfahren ist nicht zur Darstellung
jeder Idee geeignet. — Interessant, allerdings etwas
hart in der Anwendung der gelben und blauen
Farbe, ist der Kopf eines jungen blonden Mädchens
von Guirand de Scevola. Nervös sind die reizen-
den Blätter von Maurice Eliot mit ihrem schein-
baren Durcheinander von Strichen, die dabei so
charakterisierend wirken und ihren dezent ange-
brachten rosa und violetten Tönen. Von Leandre
sind einige geistreiche Karrikaturen da und ein
reizendes Porträt „Lafemme au singe“ mit wenigen,
feinen Farben. Das Blatt erinnert an seine Pastelle.
Mitten zwischen Leandre und Eliot steht vielleicht
Abel Faivre’s „Sylphe“; der Zeichner hat im
übrigen Karrikaturen seiner etwas grobkörnigen
Mache ausgestellt.
Schwer und wuchtig in den Tönen sind Sureda’s
Ansichten aus Dortrecht; sie erscheinen wie etwas
vergröberte Lithographieen von Storm vans Grave-

1) Einige interessante, den Künstler charakterisierende Lithographien
und Reproduktionen, sind im Septemberheft der Z. f. b. K. als Beigaben
zu einer Würdigung dieses Künstlers von Karl Eugen Schmidt erschienen
4*
 
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