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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Escherich, Mela: Kunst als Offenbarung der Natur, 2
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Pudor, Heinrich: Die bildende Kunst in Norwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0389

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318

Was tief in uns lebt, der reinste Grund unsres
Ich’s, das ist das Ideal, dem wir äusserlich nach-
leben. Der Wille, der in uns gährt, das ist das
Ideal, das wir in Taten zu äussern suchen. Nie
wird es erreicht. Kein Napoleon focht solche Siege,
als ihm in seinen Gedanken vorschwebten. Kein
Phidias formte solche Gestalten, als er in tiefster
Seele zu formen ersehnte. Aber wenn es einer
auch könnte, so würde er damit noch nicht den
Beifall aller erringen; denn der Ideale sind so viele
als Menschen.
Und selbst die gemeinsamen Ideale wechseln
wie Tag und Nacht. Jedes Volk, jede Zeit hat
eigene und erkennt keine andern an. Wechselnd
wie die Gottesvorstellungen der Völker sind auch
die ihrer Ideale.
Nur der Glaube an sie ist unverrückbar und
wankt und weichet nie. Im Glauben an die idealen
Güter der Menschheit werden wir alle zu Künstlern,
indem wir die grösste Kunst ausüben, — die
Kunst zu leben.
In dieser Kunst löst sich jegliche andere.
Gesang, Malerei, Poesie — welch ein lebenswürdiges
Leben, in dem alle diese Kräfte Zusammenwirken,
es zu verschönen. Da wird der deutsche Sehnsuchts-
traum von der Vereinigung der Künste zur Wahrheit;

aber nicht, wie Richard Wagner träumte, auf der
Bühne, sondern im Leben, in des Daseins schöner
Wirklichkeit!
„Alle echte Erfindung ist ein moralischer Fort-
schritt“ sagt Beethoven.
In diesem Sinne ist Kunst unsere höchste Moral.
Das ist sie für uns, für unser Leben. Für die
Nachwelt aber bleibt sie unser vornehmstes Ver-
mächtnis; denn: „Wenn ein Mensch stirbt, so volgen
Ime nichts nach dann seine werckh,“ sagte der
Kaiser Maximilian.
Von der Kunst kann kein Volk ja ganz scheiden,
ob es in der Morgendämmerung, im Mittagsglanze
oder im Abend seiner Kultur sich befinde. Solange
es noch eine Sonne gibt, die Blüten weckt, die
Vögel jubilieren, Felsgestein klingen macht, solange
wird die Sehnsucht der Seele nicht ruhen und nicht
rasten sich sichtbar kund zu tun. Solange es noch
Menschen gibt, die lieben und glauben können, —
gleichviel was sie sich zum Gegenstand ihrer Liebe
und ihres Glaubens erwählt haben, — solange wird
die Kunst bei ihnen sein als die Tochter der Liebe
zwischen Mensch und Weltall, als das tiefste
Glaubensbekenntnis, dessen wir fähig sind, als die
ewige leuchtende Offenbarung der Natur in dem
Wesen Menschheit.

Die bildende Kunst in Norwegen.
Von Dr. H. Pudor.

Die Geschichte der norwegischen Malerei be-
ginnt erst mit dem 19. Jahrhundert. Und auch dann
dauerte es lange, ehe die norwegischen Maler lernten,
auf eigenen Füssen zu stehen und nicht nur die
Natur ihres eigenen Landes zu malen, sondern vor
allem dieses Land und diese Natur mit ihren eigenen
Augen, als Norweger und als Individuen, anzu-
schauen. Wenn man das überblickt, was Norwegen
im 19. Jahrhundert auf dem Gebiete der bildenden
Kunst geleistet hat, so kommt man zu dem Ergebnis,
dass eigenes, norwegisches, auf norwegischem Boden
Gewachsenes nur in geringem Masse vorhanden
ist, dass im allgemeinen die norwegische Kunst
dieses Jahrhunderts eine Spiegelung der deutschen
namentlich der Düsseldorfer Kunst ist, und dass
somit die nationale norwegische Kunst erst von der
Zukunft geboren werden muss. Dies ist insofern
verwunderlich, als Norwegen in älterer Zeit ein be-
deutendes künstlerisches, und zwar national-künst-
lerisches Leben gehabt hat. Zwar nicht auf dem
Gebiete der Malerei, und auch nicht auf dem der
Plastik, wohl aber im Kunstgewerbe und in der
Architektur. Die altnorwegische Holzarchitektur hat
nicht nur die Bedeutung einer Curiosität, als die

sie von Engländern und Touristen häufig genug auf-
gefasst wird, sondern sie hat einen hohen künst-
lerischen Wert, sowohl für die Geschichte der
norwegischen Kunst, als für die zukünftige Ent-
wicklung der norwegischen Architektur. Zwar
wurden manche Grundformen der norwegischen
Holzarchitektur aus der romanischen Baukunst ent-
nommen, so der Grundriss der altnorwegischen
Stabkirche, der Rundbogen, das Würfelkapitäl
u. a. m., aber die romanischen Formen wurden in
Norwegen in national eigentümlicher Weise ver-
wendet, und es wurde ein national-norwegischer
Baustil geschaffen. In der Tat ist die norwegische
sogenannte Stabkirche und das norwegische Bauern-
haus eine Leistung national-norwegischer Art, die bis
in die jüngste Gegenwart in diesem Lande unerreicht
dasteht. Es gibt heute keine eigentlich norwegische
moderne Malerei oder Plastik, oder Architektur,
kaum ein modern-norwegisches Kunstgewerbe.
Aber jene alte Holzarchitektur war auf der einen
Seite durchaus national und auf der anderen Seite
durchaus künstlerisch. Was das Künstlerische an-
betrifft, so kommen in der Tat die Gesetze der
Kunst in diesem alten Holzbaustile in vollkommener
 
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