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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Landau, Paul: Delacroix und sein Tagebuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0285

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233

Delacroix und sein Tagebuch.*)

Von Paul Landau.

Man hat seit der Veröffentlichung des journal
an Delacroix, dem Romantiker, ein wenig zu
zweifeln begonnen. Wo blieb die Extase eines
visionären Schaffens, der göttlich hinwühlende
Rausch des Genies bei diesen kühlen, scharf
logischen Erwägungen über alle Geheimnisse der
Technik und Komposition? Passte es zu einem
Künstler, den man sich in einem unbewusst fieber-
haften Zustande arbeitend vorgestellt hatte, dass er
sich des Abends niedersetzte, um sich Rechen-
schaft zu geben über seine Kunst und die Kunst
der andern?
Noch Muther in seiner Geschichte der Malerei
hat mit den exotischen, grünlich krankhaften
Farbennüancen Beaudelaire’scher Schilderung sein
Portrait des grossen Malers ausgestattet, jenen
pathologischen Zug der Künstlertragik bei ihm ge-
funden, der dem romantischen Genie seine Natur-
nähe so unheilvoll macht. Und nun soll es nicht
dazu stimmen, dass ein so wild geartetes Genie an
Racine und Mozart seine höchste Freude finde, ja
sich zu Tizian und Poussin bekehrt und Victor
Hugo ebenso verabscheut wie Berlioz?
Eine Inkongruenz zwischen dem Schriftsteller
und dem Maler scheint sich darzutun und schein-
bar bietet sich dem Leser der Tagebücher eine
ganz andere Persönlichkeit dar, als dem Betrachter
der Bilder. Und doch wird sich dieser Zwiespalt
dem leicht zusammenfügen, der sein Augenmerk
vor allem auf jenen rätselvollen Komplex genialer
Bindungen und Kreuzungen richtet, der den
Menschen Delacroix umschliesst.
Man möchte wohl zunächst in den Tagebuch-
blättern dieses leidenschaftlichen, ganz selbständigen
Künstlers eine solche Welt tollster Entwürfe, greller
Schreie und riesiger kraftvollster Empörung ver-
muten, wie sie etwa die Tagebücher des jungen
Hebbel bieten. Doch davon ist wenig zu finden;
eher verspüren wir schon Stimmen einer fein zer-
gliedernden Selbstbeobachtung, eines steten Auf-
merkens auf die zarten Regungen des eignen
Gemütes, wie sie die Aufzeichnungen des Novalis
in einer so beängstigenden und unwiderstehlich
zwingenden Weise geben. In den spärlichen
Berichten aus den Jugendjahren hört man solch
selbstquälerische Grübeleien leise durch, sie werden

gebändigt durch eine starke Selbstzucht, und das
ästhetisierende Element, die sorgfältige Durch-
arbeitung eines aufgenommenen künstlerischen
Stoffes tritt an die Stelle Dieser Mann scheint ein
in gleicher Weise produktives wie receptives Genie
zu sein. Und nur in Goethe fände man ein gleiches
Beispiel einer wundervoll geregelten Oekonomie
des Aufnehmens und Ausgebens. Doch sind alle
Dinge, die Goethe aufnahm in seine Geisteswerkstatt,
stets durchblutet von der ihm eignen Lebenswärme;
er ist im höchsten Sinne subjektiv und erscheint
nur so allgemeingültig, weil wir heute in ihm eine
ganze Welt sehen.
Bei Delacroix erscheint seine Bildung mehr
als ein kluges Spekulieren über die Dinge, weniger
als ein Erleben. Er hat Betrachtungen und
Variationen über das Schöne angestellt so gut wie
nur ein Aesthetiker und sie in der Revue des deux
mondes erscheinen lassen, ihn beschäftigt stets das
Allgemeingültige an einem Werk und nur selten ist
ein Ausruf des erregten Fühlens, ein Wort über
die Seligkeit, die es dem Worte verdankt, wie stets
bei Goethe, meist ein Suchen der Gründe für dies
Gefallen.
Delacroix ging wohl zunächst dabei von dem
persönlichen Wunsche aus, für seine Kunst von
den grossen Meistern zu lernen, und dann trat
häufig dieser rein praktische Zweck, dieser Bezug
auf sein eignes Schaffen, hinter der Lust am
ästhetischen Spintisieren, am Hineinkneifen in alle
Feinheiten und kleinsten Winkel des Kunstwerkes
zurück. Ganz so ist es ja unserm Otto Ludwig
gegangen und sind dessen Shakespeare-Studien
das Genialste, was wir über Technik und Dramas
besitzen, so reihen sich dem die Bemerkungen
Delacroix’s über Rubens ebenbürtig an. Bei
Goethe ist eine vollendete Einheit in all seinen
Gebilden; er dichtet und geniesst als Mensch und
Künstler zugleich. Gleichmässig dringt alles aus
dem warmen Erdboden eines unendlichen reichen
Gefühls in die Lichthelle des Verstandes Bei Otto
Ludwig, bei Delacroix ballen sich die Wolken-
schatten des Dunkel fühlenden Traums zu Gestalten
und gesondert steht der reflektierende Verstand
daneben und rückt die Geschöpfe des Traumes
und der Vision in eine fahle grelle Beleuchtung.

') Eugene Delacroix. Mein Tagebuch. Cassircr, Berlin 1903.
 
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