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Ueber die frühere Zeit von Lucas Cranach.
Von Dr. Wilhelm Schmidt.
Ueber die allerfrüheste Zeit von Lucas Cranach,
seine eigentliche Jugendzeit, ist künstlerisch nichts
bekannt. Dass man entsprechende Gemälde und
Zeichnungen, vielleicht auch Holzschnitte, nach-
weisen wird, ist mit Sicherheit anzunehmen, aber
bis jetzt beschränkt sich dies nur auf zu unsichere
Vermutungen, als
dass sie hier erörtert
werden könnten.
Erst mit dem Holz-
schnitte Christus am
Kreuz von 1502(Pas-
savant, Peintre-Gra-
veur IV, p. 40, No. 1)
tritt der Künstler, also
bereits 30 Jahre alt,
aus der Dunkelheit
hervor. Der Holz-
schnitt Christus am
Kreuz (P. No. 2), der
eine Art Gegenstück
zum vorigen bildet,
wird ja, wie Flechsig
annimmt, früher sein;
dieser Zeitunter-
schied istaber meiner
Ansicht nach nicht
erheblich und das
Blatt trägt auch zur
Erkenntnis Cranachs
kaum etwas anderes
bei, als was wir dem
datierten entnehmen
konnten. Beide sind
dem gleichen Stile
entsprungen und auf
Passavant 1 finden
sich ebensogut wie
auf P. 2 fremdländi-
sche aus Oesterreich
bezw. Ungarn ge-
schöpfteTypen. Das
frühestbekannte Oel-
gemälde des Künst-
lers ist mit dem Jahre 1503 datiert; es ist der vielbe-
sprochene Christus am Kreuz in Schleisheim (Taf. 21),
den zuerst Rieffel, Repertorium f. K. XVIII, S. 424,
mit Sicherheit als Cranach erklärt hat. Dies einmal
ausgesprochen, war ein Zweifel nicht mehr erlaubt,
und es waren auch die in der Kunstweise mit dem
Crucifixus übereinstimmenden Gemälde: Bildnis
des Rektors J. St. Reus im Germanischen Museum
(1503) (Taf. 22), weibliches Bildnis im Besitze des
Fürsten Günther Viktor von Schwarzburg-Rudol-
stadt (Abbildg. 1), der hl. Valentin mit einem Fall-
süchtigen und Stifter in der akademischen Galerie
zu Wien (Katalognummer 549) dem Meister Lucas
zuzurechnen. Ich hatte seiner Zeit auf die Gleich-
heit dieser Gemälde in ihrer Kunstweise als der
erste aufmerksam ge-
macht, und Flechsig
schildert auch in
seinen Cranachstu-
dien I, p. 71 f., den
Hergang der Dinge
ganz sachgemäss.
Alle diese Werke
sind offenbar in kur-
zen Zeiträumen hin-
tereinander entstan-
den. Folgt dann 1504
die berühmte Ruhe
auf der Flucht, in
Berlin (Taf. 23), wo-
bei sich der Künstler
zuerst seines Mono-
grammes bedient hat.
Dass auch dieses Ge-
mälde sich engan die
vorigen anschliesst,
darüber sollte doch
meines Bedünkens
keine Meinungsver-
schiedenheit obwal-
ten, und am aller-
wenigsten kann der
„pathetische Geist“
der Kreuzigungsbil-
der als abweichend
angerufen werden,
da der Gegenstand
doch ein so grund-
verschiedener ist.
Ueber diese Punkte
habe ich mich schon
in der Seemann-
sehen Kunstchronik
N. F. 28. Dez. 1899 und 29. Nov. 1900 verbreitet;
letzterer Aufsatz ist auch für meine abweisende Stel-
lung zu Flechsigs Hans Cranach-Hypothese zu be-
achten. Billigerweise kann mir niemand verdenken,
dass ich wiederholt darauf aufmerksam mache, denn
ich weiss nur zu gut, wie sehr diese Dinge sich in
den Zeitschriften verstecken. Ich bin einigermassen
in die Cranachfrage verwickelt und möchte nicht
haben, dass dies vom Strom der Vergessenheit
Abbildg. 1.
Ueber die frühere Zeit von Lucas Cranach.
Von Dr. Wilhelm Schmidt.
Ueber die allerfrüheste Zeit von Lucas Cranach,
seine eigentliche Jugendzeit, ist künstlerisch nichts
bekannt. Dass man entsprechende Gemälde und
Zeichnungen, vielleicht auch Holzschnitte, nach-
weisen wird, ist mit Sicherheit anzunehmen, aber
bis jetzt beschränkt sich dies nur auf zu unsichere
Vermutungen, als
dass sie hier erörtert
werden könnten.
Erst mit dem Holz-
schnitte Christus am
Kreuz von 1502(Pas-
savant, Peintre-Gra-
veur IV, p. 40, No. 1)
tritt der Künstler, also
bereits 30 Jahre alt,
aus der Dunkelheit
hervor. Der Holz-
schnitt Christus am
Kreuz (P. No. 2), der
eine Art Gegenstück
zum vorigen bildet,
wird ja, wie Flechsig
annimmt, früher sein;
dieser Zeitunter-
schied istaber meiner
Ansicht nach nicht
erheblich und das
Blatt trägt auch zur
Erkenntnis Cranachs
kaum etwas anderes
bei, als was wir dem
datierten entnehmen
konnten. Beide sind
dem gleichen Stile
entsprungen und auf
Passavant 1 finden
sich ebensogut wie
auf P. 2 fremdländi-
sche aus Oesterreich
bezw. Ungarn ge-
schöpfteTypen. Das
frühestbekannte Oel-
gemälde des Künst-
lers ist mit dem Jahre 1503 datiert; es ist der vielbe-
sprochene Christus am Kreuz in Schleisheim (Taf. 21),
den zuerst Rieffel, Repertorium f. K. XVIII, S. 424,
mit Sicherheit als Cranach erklärt hat. Dies einmal
ausgesprochen, war ein Zweifel nicht mehr erlaubt,
und es waren auch die in der Kunstweise mit dem
Crucifixus übereinstimmenden Gemälde: Bildnis
des Rektors J. St. Reus im Germanischen Museum
(1503) (Taf. 22), weibliches Bildnis im Besitze des
Fürsten Günther Viktor von Schwarzburg-Rudol-
stadt (Abbildg. 1), der hl. Valentin mit einem Fall-
süchtigen und Stifter in der akademischen Galerie
zu Wien (Katalognummer 549) dem Meister Lucas
zuzurechnen. Ich hatte seiner Zeit auf die Gleich-
heit dieser Gemälde in ihrer Kunstweise als der
erste aufmerksam ge-
macht, und Flechsig
schildert auch in
seinen Cranachstu-
dien I, p. 71 f., den
Hergang der Dinge
ganz sachgemäss.
Alle diese Werke
sind offenbar in kur-
zen Zeiträumen hin-
tereinander entstan-
den. Folgt dann 1504
die berühmte Ruhe
auf der Flucht, in
Berlin (Taf. 23), wo-
bei sich der Künstler
zuerst seines Mono-
grammes bedient hat.
Dass auch dieses Ge-
mälde sich engan die
vorigen anschliesst,
darüber sollte doch
meines Bedünkens
keine Meinungsver-
schiedenheit obwal-
ten, und am aller-
wenigsten kann der
„pathetische Geist“
der Kreuzigungsbil-
der als abweichend
angerufen werden,
da der Gegenstand
doch ein so grund-
verschiedener ist.
Ueber diese Punkte
habe ich mich schon
in der Seemann-
sehen Kunstchronik
N. F. 28. Dez. 1899 und 29. Nov. 1900 verbreitet;
letzterer Aufsatz ist auch für meine abweisende Stel-
lung zu Flechsigs Hans Cranach-Hypothese zu be-
achten. Billigerweise kann mir niemand verdenken,
dass ich wiederholt darauf aufmerksam mache, denn
ich weiss nur zu gut, wie sehr diese Dinge sich in
den Zeitschriften verstecken. Ich bin einigermassen
in die Cranachfrage verwickelt und möchte nicht
haben, dass dies vom Strom der Vergessenheit
Abbildg. 1.