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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Semper, Hans: Ein Bildschnitzer des 16. Jahrhunderts aus M. Pachers Schule: (Meister Wolfgang Asslinger?)
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0325

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257

11. Ein Bildschnitzer des 16. Jahrhunderts aus M. Pachers Schule.
(Meister Wolfgang Asslinger?)
Von Prof. Dr. H. Semper.

Im k. bayerischen Nationalmuseum zu
München befindet sich ein Flügelaltar mit dem
Schnitzbild der Weihnachtskrippe im Schrein und
den Relieffiguren der hl. Katharina und Barbara auf
den Innenseiten der Flügel, sowie einer Hochrelief-
gruppe der Pieta im Sarg. Von den Gemälden an
den Aussenseiten der Flügel sei hier abgesehen. Dieser
Altar gelangte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
aus der Pfarrkirche in Tramin nach München,
zunächst in Privatbesitz, dann in das National-
museum.1) (Tafel 64.) Seitdem E. Förster in diesem
Altar ein Werk des Michael Pacher zu erkennen
geglaubt hat,2) ist ihm diese Bezeichnung bis auf
den heutigen Tag geblieben, und dennoch ist sie
falsch. Eine Vergleichung der geschnitzten Figuren
und Ornamente des Münchener Altares mit den
entsprechenden Teilen der Altarschreine von Gries
und S. Wolfgang ergibt aufs Deutlichste, dass das
vortreffliche Schnitzwerk des Münchener Altars
zwar eine unverkennbare Abhängigkeit von Michael
Pachers Stil zeigt, zugleich aber ganz wesentlich
davon abweicht und eine spätere Kunststufe verrät,
wie dies auch schon W. Bode3) hervorhob, nach
welchem die Bildung der gotischen Ornamente am
Münchener Altar „bereits auf den Anfang des
16. Jahrhunderts schliessen lässt“. In der Tat sind
die architektonischen Motive, welche im Baldachin
über den Skulpturen des Schreines sowohl am
Grieser wie am S. Wolfganger Altar noch durchaus
vorherrschen, am Altar von München bis auf ein
Geripp von Rundbögen, sowie senkrechten und
rankenförmig geschweiften Fialen fast ganz ver-
drängt und überwuchert durch ein krauses, vielfach
verschlungenes Blättergeranke.
Ebenso wesentlich unterscheiden sich die
Figuren am Münchener Altar von denjenigen der
beiden Schnitzgruppen des Michael Pacher, sowohl
in der geistigen Grundauffassung wie in der Durch-
bildung der Formen im Einzelnen, wenn auch, wie
gesagt, Pachers Schuleinfluss darin nicht verkannt
werden kann. Zwischen Michael Pachers Auffassung
und derjenigen des Meisters des Münchener Altars
besteht ein ähnlicher Unterschied wie etwa zwischen
Donatello und Antonio Rossellino.
1) Näheres im Aufsatz des Verfassers „Bildschnitzer aus Michael
Pachers Werkstatt“ (Zeitschrift des Ferdinandeum, 1895, S. 344 f.).
2) Deutsches Kunstblatt, 1853, S. 132.
3) Geschichte der deutschen Plastik. Berlin 1877. S. 199.

Der heilige Ernst der Auffassung, die mächtige
innere Belebung und die wuchtige, schwungvolle
und kühne Formensprache des Michael Pacher
sehen wir am Münchener Altar durch eine gemüt-
liche, freundliche, idyllische Empfindung und eine
dementsprechende mass- und geschmackvolle, mit
liebevoller Sorgfalt das kleinste, nebensächlichste
Detail ausführende Behandlungsweise ersetzt. Die
Madonna und die weiblichen Heiligen am Münchener
Altar zeigen mehr untersetzte, breitschulterige Ge-
stalten, mit runden, freundlichen, zwar feingeformten,
aber doch mehr alltäglichen Gesichtern hübscher
Bozner „Gitschen“, während Pachers Jungfrauen
vornehmer und zarter organisierte Wesen von
schlankerem Wuchs, mit schüchtern-ernstem Aus-
druck in dem schmalen Oval des Antlitzes dar-
stellen. — Auch die männlichen Figuren am
Münchener Altar, Joseph und die Hirten, zeigen
einen mehr genrehaften, biedermännisch gesetzten
Ausdruck in ihren vorzüglich individualisierten
Köpfen, selbst am Christus der Pieta unten ist der
vorherrschende Ausdruck Sanftmut, während Pachers
Männertypen eine derbere und herbere, aber zu-
gleich auch grössere und tiefere Auffassung zeigen.
Recht deutlich tritt auch der Unterschied im
Ausdruck der Engel bei Pacher und am Münchener
Altar hervor; auch Pacher schöpft mit vollen Händen
aus der Natur, aber seine Bauernkinder im Engels-
gewand zeigen zugleich einen so naiven Ernst, zum
Teil eine so bezaubernde Begeisterung, wie sie an
den schalkhaften, niedlichen Engeln des Münchener
Altars nicht wahrzunehmen ist.
Der ruhigen, gemütlichen Grundstimmung und
Charakteristik des Meisters vom Münchener Altar
entspricht auch sein Gewandwurf, in welchem er
bei der Madonna zwar noch die lang am Boden
ausgebreitete Gewandschleppe Marias nach Pachers
Art beibehält, um das Kind darauf zu betten, und
auch noch vorherrschend knittrige Motive anwendet,
wogegen er jedoch die hoch sich bauschende und
tief unterhöhlte Fülle der Pacherschen Gewandfalten
vermeidet und mit Vorliebe einzelne Gewandflächen
sich am Körper, der Brust, den Schultern, den
Schenkeln, dem Unterleib anschmiegen lässt, um
deren Formen darunter auszuprägen.
Auch er ist ein Meister der Holztechnik, wenn
er dieselbe auch nicht in der kühnen Weise wie
 
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