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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Rüttenauer, Benno: Vom Bamberger Dom und seinen Skulpturen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0114

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93

dieser ganz fremdartigen Kunst, die mit ihrem tief-
sinnigen und eigentlich barbarischen Ernst eine
unerhörte geheimnisvolle Sprache zu reden schien.
Etwas Asiatisches sprach einen daraus an. Von
alt-assyrischer Kunst schien einen ein Hauch daraus
anzuwehen.
Denn das war dem Gefühl klar auf den ersten
Blick, dass dieser Stil vom gotischen mindestens
so weit abstand als vom antik-klassischen.
Ich war fest überzeugt, dass es so etwas in
ganz Deutschland nicht gab, ich hatte nie etwas
davon gehört und gelesen. Es leuchtete auch ein:
nur diese Provinz mit ihrer besondern Kultur, wo
römische, griechische und vor allem asiatische
Elemente in eins zusammen flössen, konnte einen
solchen Stil erzeugen.
Da kam ich, mehrere Jahre später, zum ersten-
mal nach Bamberg. Und — mein Erstaunen war
ungeheuer. Diese Propheten und Apostel, das
war ja proven9alische Kunst. Die Aehnlichkeit in
Stil und Auffassung war frappant. Wahrhaftig, wer
diese Stilsprache dort unten einmal eindringlich
vernommen hatte, der musste sie hier notwendig
wieder erkennen.
Ich war begierig, was die Gelehrten dazu
sagten. Ich fragte die berühmtesten unter ihnen.
Sie waren ahnungslos. Zwar die auffällige Beson-
derheit der Bamberger Skulpturen war ihnen nicht
ganz entgangen. Dennoch scheuten sie sich nicht,
deren höchst verwunderliches Dasein aus einer
lokalen oder aus Einflüssen von der sächsischen
Schule her zu erklären. Ueber die letztere Er-
klärung, sollte man meinen, müsste sogar jeder
Laie — und ich bin ja selber einer — den Kopf
schütteln. Denn die Formensprache der sächsischen
Plastik — ich habe sie erst in neuerer Zeit kennen
gelernt — ist von jener der proven9alischen so
verschieden, wie etwa der norddeutsche Dialekt
von der langue d’oc. Man sollte meinen, ein
Blinder müsse das sehen. In Bamberg aber vor
den Propheten und Aposteln des Georgenchors
ist einem wirklich, als ob man plötzlich proven9a-
lisch hörte. Ich muss es noch einmal sagen, ein
feinhöriger Laie, der von der Proven9e her diesen
Ton und Accent im Ohr trägt — eigentlich handelt
es sich um’s Auge — kann ihn hier in Bamberg
unmöglich überhören, unmöglich verkennen.
Und endlich ist auch die gründliche und darum
etwas langsambedächtige Wissenschaft dahinter-
gekommen. Eine sehr gelehrte und verdienstvolle
Abhandlung über die Bamberger Domskulpturen1)
von Dr. Arthur Weese hat keinen anderen Zweck,
als die Familienzusammengehörigkeit der Bamberger
und der proven9alischen Skulpturen wissenschaft-
lich darzuthun. Das feingeschriebene Buch thut
dies in einer so einleuchtenden und überzeugenden
Weise, dass, glaube ich, nur die lächerlichste Recht-
haberei Widerspruch dagegen erheben könnte.
Seine Darstellung legt es nahe, wenn auch ohne
es auszusprechen, dass der Bamberger Künstler
aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt ein Pro-
ven9ale war.

1) Strassburg, J. H. Ed. Heitz, 1897.

Weese hat ganz recht, dass er die Nationali-
tätenfrage bei dieser Gelegenheit geringschätzig
abweist. Nationalitäten im heutigen Sinn des Wortes
gab es damals gar nicht. Damals gab es — wie
dies ja auch politisch im Imperium seinen Aus-
druck fand — ein einheitliches Europa, dessen ein-
heitliche geistige Individualität durch die Gemein-
samkeit der lateinischen Sprache noch mehr als
durch das Imperium dokumentiert ist. Das Latein
darf man sich für jene Zeit keineswegs schon als
tote Gelehrtensprache denken. Es war freilich die
einzige allgemeine Buchsprache, aber es war auch,
mehr oder weniger abgeschliffen, mehr oder weniger
modifiziert, die allgemeine Umgangssprache für die
höheren Stände (die überhaupt nur in Betracht
kamen) und zwar in noch weiter gehendem Masse
als seine glücklichste Tochter, das französische, im
siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Es war
die Zeit der Hohenstaufen, und man weiss, dass
diese ausschweifenden Schwaben sich, von Sizilien
abgesehen, in Burgund mindestens ebenso heimisch
fühlten wie in Schwaben selber. Zu Burgund ge-
hörte aber auch das Königreich Arelat.
Zwei Thatsachen sind für jene Zeit fast selbst-
verständlich. Niemand wird sich wundern, dass
Deutschland, das gerade erst aus der völligen
Barbarei herausgetreten war, keine gleich reiche
Kunstentwickelung und Stiltradition haben konnte,
wie die alten Kulturstätten der Proven9e und Lan-
guedoc. Und ebenso einleuchtend ist es, dass ein
mächtiger deutscher Bischof, noch dazu aus mäch-
tigem Hause stammend und mit den Hohenstaufen
eng befreundet, zu jenem kunstüberlegenen Süden
Beziehungen unterhielt, vielleicht persönlich Kunst
und Künstler in ihrem Lande kennen gelernt hat.
Die Unsesshaftigkeit der damaligen Grossen, der
Kaiser voran, ist genügend bekannt. Wir be-
greifen ja eigentlich nicht, wie sie es fertig gebracht
haben; aber Thatsache ist, dass sie, auch ohne
Orientexpresszüge, erstaunlich viel herumkamen
und in ihrem Europa überall zu Hause waren. Die
Kleriker waren noch fahriger wie die weltlichen
Grossen. Der Dom von Bamberg wurde von dem
Patriarchen von Aquilea geweiht.
Mir scheint also, es war für Weese gar nicht
allzuschwer, seine These überzeugend darzuthun.
Die heute viel verbreitetere Anschauung von süd-
französischer Plastik erleichterte seine Aufgabe noch
mehr, und ich wage die Vermutung auszusprechen,
dass Männer wie Kugler und Schnaase, die doch
auch nicht blind waren, den Bamberger Sachverhalt
nur aus mangelnder Anschauung nicht gleich richtig
erkannt haben.
Ich finde auch das Hauptverdienst der Weese-
schen Abhandlung zumeist nicht in der strikten
Beweisführung, obwohl diese nichts zu wünschen
übrig lässt. Viel wertvoller ist mir die ausgezeichnete
Schrift durch ihre eingehenden und feinen Analysen
der Bamberger Skulpturen. Sie sind in jedem Be-
tracht bewundernswert. Der Verfasser gibt damit
selber sprachliche Kunstwerke, die der besonders
freudig anerkennen wird, der aus eigener Erfahrung
weiss, wie wenig die deutsche Sprache gerade auf
diesem Gebiet befruchtet ist. Und da ist es nun
 
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