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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Eisler, Robert: Mantegnas frühe Werke und die römische Antike
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0205
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reiches römisches Skizzenbuch vorgelegen sein.
In dem „Oelberg“ der Nationalgallery1) erscheint
bereits die Trajanssäule mit dem Reiterstandbild
des Marc Aurel (wiederholt auf dem Triumphzug
in Hamptoncourt), das Colosseum und die torre
di Nerone. Trotzdem wird — schon aus stilist-
ischen Gründen — niemand das Bild in die 90er
Jahre versetzen wollen, zumal unmittelbar neben
diesen römischen Bauten der Salone von Padua
und der Campanile von S. Marco erscheinen. Auf
einer der Predellen von S. Zeno (im Museum von
Tours) befindet sich ein mit einer flachen Kuppel
überwölbter Rundbau, für den sich schwer ein
anderes Vorbild denken lässt als das Pantheon.
Die Hintergründe des Begegnungsbildes2) in der
Camera degli Sposi (vollendet 1474) zeigen weiters
die Pyramide des Cestius,3) das Septizonium des
Severus und Reste von Wasserleitungsbauten.
Endlich ist zu bemerken, dass der Triumphzug
von Hamptoncourt4), als Mantegna 1488 nach Rom
ging, bereits fertig war. Und dass dieses Werk
ohne Kenntnis der römischen Plastik entstanden
sein sollte, scheint doch allzu unwahrscheinlich5 6).
Nach alldem dürfen wir es vielleicht doch
wagen, die Vorbilder, auf die die Ueberlieferung
anspielt, im Kreis der damals über dem Erdboden
befindlichen römischen Antiken zu suchen.
In Betracht kommen da natürlich einerseits
die beiden grossen Säulen, andrerseits die Triumph-
bogen. Eine zunächst durchgeführte sorgfältige
Vergleichung der modernen, ausgezeichneten
Publikationen der Säulenreliefs mit den Ermitani-
fresken hat mich nur auf ganz unwesentliche
Analogien geführt.
Viel eingehender hat Mantegna die Triumphal-
architektur studiert.
Gleich auf dem zweiten Bild des paduanischen
Cyclus (St. Jacob vor Herodes Agrippa) finden
wir eine genaue in den Verhältnissen wie in
den architektonischen Details getreue Wieder-
gabe des TitusbogensG). Die mächtige Attica
mit der Inschrift ist weggelassen — wahrscheinlich
aus kompositionellen Rücksichten. Ebenso fehlt der
Figurenfries, der hier durch einen glatten Streifen
ersetzt ist. Das Motiv an sich erscheint übrigens —
ohne Rücksicht auf die von unten schwer erkenn-
baren Einzelheiten — in dem folgenden Fresko
verwertet (ebendaselbst auch das Motiv des Reliefs
im Torweg) Besonders zu beachten ist die,
wenn auch summarische, so doch in der ganzen
Stellung sehr getreue Wiedergabe der Victoria mit
dem Vexillum. (Eine zweite, auch im einzelnen
treue Wiederholung dieses Motivs auf dem Wiener
Sebastiansbild.) Die eigenen Zutaten des Künstlers
beschränken sich auf die beiden an den leeren
Wandflächen zur reicheren Ausschmückung an-
gebrachten Porträtreliefs (nach Münzen) und die
kleine Opferszene, die mit freier Benutzung eines
antiken Vorbilds komponiert ist.
1) Vgl. Abbildg. 9.
2) Vgl. Abbildg. 10.
3) Man hielt sie damals noch für das Grab des an der Stadtmauer
erschlagenen Remus. (Petrarca.)
4) Vgl. Taf. 30.
5) Vgl. Abbildgn. 11 und 12.
6) Vgl. Abbildgn. 13 und Taf. 31.

Abbildg. 15.
Münze des Trajan.


Aber noch nicht genug damit. Durchblättern
wir die Stiche in Beiloris Kupferwerk veteres arcus
augustorum ex reliquiis, quae adhuc Romae super-
sunt, so finden wir auf Tafel 31 das genaue Gegen-
stück zur ganzen Komposition des zweiten Freskos')
(Verhör des Jacobus durch Herodes Agrippa). Das
Vorbild zu diesem Stich des Santi Bartoli ist eines der
Reliefs aus trajanischer Zeit, die jetzt den Constan-
tinsbogen schmücken. Auf hohem Tribunal thront
Kaiser Trajan, hinter ihm der praefectus practorio,
zu seinen Füssen der unterworfene Partherkönig,
umgeben von Soldaten mit ragenden Feldzeichen.
An diese Komposition — nicht an den abweichenden
traditionellen Typus des Christus vor Pilatus, wie
er uns bereits an Sarkophagen, an der Lipsano-
thek von Brescia, im Codex Rossanensis etc. ent-
gegentritt und von dem Mantegna ein ausgezeich-
netes Exemplar in der Arenakapelle des Giotto vor
Augen hatte — schliesst sich das Verhör des Jacobus
in allen wesentlichen Punkten an.
Entscheidend dafür, dass Mantegna das Original
und nicht den davon abhängigen Münztypus2)
benützt hat, scheint mir der Gestus der mit dem
Feldhcrrnstab bewaffneten Hand zu sein, den die
Münze nicht wiedergiebt. Hat Mantegna diese Münze
überhaupt gekannt, so fiel ihr nur die Aufgabe zu,
durch die inhaltlichen Beziehungen, die ihm die
Inschriften eröffneten, sein Interesse für diese
mächtige und imposante Komposition zu vertiefen.
So wäre es also gelungen, den Sinn der Ueber-
lieferung: imagines traxit a statuis Romanis zu er-
mitteln. Wir gewinnen damit nicht nur ein neues,
kunsthistorisch wichtiges Detail für die Lebens-
geschichte eines grossen, eigenartigen Künstlers,
sondern auch eine unerwartete neue Bestätigung
für die weltgeschichtlich bedeutsame Stellung,
die die neuesten Forschungen3) der einst verkannten
römischen Reichskunst angewiesen haben. Lange
bevor der Laokoon, der belvederische Apollo und
die ungezählten anderen Meisterwerke der helle-
nistischen Kunst ihre Auferstehung aus dem Schutt
der Siebenhügelstadt feierten, lenkten die Werke der
namenlosen römischen Bildhauer die sinnenden
Blicke eines Jünglings auf sich, der der drückenden
Enge einer kleinstädtischen Werkstatt entflohen war,
um auf klassischem Boden Kraft und Begeisterung
zu einem ruhmvollen Lebenswerk zu schöpfen.
1) Vgl. Abbildg. 14.
2) Vgl. Abbildg. 15.
3) Vgl. Wickhoff, Einleitung zur Wiener Genesis.

2*
 
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