Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

Zitierlink:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/monatshefte_kunstwissenschaft1909/0021

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
W. Vöge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 13

übermalt.1) Statt mit leichter Hand der Form zu folgen, ließ der Restaurator die Brauen
geradlinig und hart über der Nasenwurzel absetzen. Was übler ist, er füllte den oberen
Saum des Mundes nicht, so daß der dachartig abfallende Zug der Oberlippe nicht
herauskommt, obschon er, unter der dicken Tünche sogar, sich abzeichnet!
Die beiden Madonnengesichter sind breitstirnig, eigen flach, kantig und haben
doch einen Anflug von Lieblichkeit; eine leichte Schiefheit haben beide. Es ist wie
ein Ausgleiten der Form, mit dem Neigen des Hauptes zusammenhängend: die kleinen,
ungemein säuberlich erbohrten Nasen-
löcher stehen schräg, bei der Ber-
linerin auch der Mund ein wenig.
Von dem üppigen Haar hat sich
ein dünne Locke abgezweigt; sie
schmiegt sich an die Schläfen, um
hinter den Ohren herabzugleiten
(Abb. 1, so auch in Augsburg); diese,
halb von den Haaren verdeckt,
machen sich doch durch ihr Ab-
stehen bemerkbar.2)
Die vollen, weichen Hände, mit
fleischigen, vorn spitz zulaufenden
Fingern, sind nicht sehr durchgebil-
det, doch voll Verständnis für or-
ganische Formen, für die Weichheit
des Lebens.
Sollte der Meister dieser beiden
Madonnen nicht ein Augsburger
Kind gewesen sein? Man muß vor-
sichtig bei solchen Schlüssen sein.
Sein Hauptwerk hat uns der Meister
nicht in Augsburg, sondern in un-
mittelbarer Nähe von Ulm hinter-
lassen: den Hochaltar von Blau-
beuren. ") Dieser ist immer als eine
der großartigsten Schöpfungen der


Abb. 3. Detail aus der Anbetung der Könige
Blaubeurer Hochaltar

Ulmer Schule angesehen worden. Und davon braucht man um jener Madonnen

willen — nicht abzugehen. Denn Ulm ist der älteste, einflußreichste Sitz der schwäbischen

9 Unter dem Anstrich des Mantels liegt noch die alte Vergoldung. Die dicke Farbschicht
der^Tünche ist an manchen Stellen, z. B. am rechten Arm des Kindes, geborsten und abgeblättert.
Die Figur scheint nicht wie die Berliner aus einem einzigen Stück zu sein, wahrscheinlich ist an
der linken Seite ein schmales Stück angesetzt.

2) Auch hier ist eine gewisse Schiefheit bei der Augsburgerin, das rechte Ohr steht etwas
mehr ab als das linke.
") Karl Baur, Der Hochaltar und das Gestühl im Chor der Klosterkirche zu Blaubeuren,
m. einl. Text von M. Bach. Blaubeuren o. D.
 
Annotationen