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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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Monatshefte für Kunstwissenschaft


Abb. 1. OTTO HETTNER: Studie

sicht zeichnete ich meine Studie nach dem liegenden Modelle, also auf den unteren
Teil meines Blattes die den Fußboden berührenden Füße, auf den oberen die nach
oben gewendete Brust- und Bauchpartie, auf den linken den Kopf, auf den rechten
die Beine.
Ich befand mich oben, das Modell sich unten. Die für das Bild gewünschte
Ansicht war: der Beschauer unten, die Figur oben. Ich hatte also mein Blatt herum-
zudrehen, um sie zu erhalten.
Zu 2. Die Studie der Gesamterscheinung wurde so gezeichnet: das Modell lag
rücklings auf einem Tische, ihn von der Mitte der Oberarme und den Kniekehlen ab
überragend. Ich zeichnete, auf dem Fußboden stehend, so, daß ich das Modell aus
geringer Obersicht und von den Waden
zum Kopfe verkürzt sah. Da ich dieses
Mal, um meine Figur in den Sinn
der Bewegung des Fliegenden zu
bringen, nicht, wie im ersten Falle,
die Ebene oben mit der Ebene unten,
sondern die Ebene oben mit der ver-
tikalen Richtung zu vertauschen hatte,
drehte ich mein Blatt so, daß seine
untere Seite zur rechten, die linke zur
unteren wurde.1)
Ich besaß so Studien, in deren
jeder der Zusammenhang der Erschei-
nung, die Verhältnisse der Teile zu
einander nebst den Verkürzungen ge-
löst, meine Arbeiten aber damit, wie

ich sofort erkannte, noch nicht am Ende waren. Denn erstens fehlte den Figuren der
Charakter des Schwebens, da ich nach liegenden Modellen gezeichnet hatte, zweitens
hatte ich die Richtungen verwechselt, in Fall 1: unten mit oben, in Fall 2: unten mit
rechts, wodurch die Einheitlichkeit der Beleuchtung zerstört war.
Die weitere Arbeit setzte darin ein, die durch die Anwendung der Methode
entstandenen Schwächen oder Fehler festzustellen und die Mittel zu deren Verbesserung
zu finden.
Ich kann mit dem Berichte, wie sich mein Arbeitsgang in diesem Sinne gestaltete,
zurücktreten, da dies mustergültig bei Michelangelo verfolgt werden kann.

ANWENDUNG DER METHODE BEI MICHELANGELO
„Ein besonderer Unstern hat über den Zeichnungen Michelangelos gewaltet. Als
Herzog Cosimo nach des Meisters Tode einem Bevollmächtigten in Rom auftrug, ihm
einige Zeichnungen Michelangelos zu verschaffen, lautete die Antwort, es sei nur mög-
9 Die Augenlinie war auf die Waden gerichtet. Bei der Drehung wurde sie zum Hori-
zonte. Der unterste Teil der Figur sollte diesen überschneiden.
 
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