0. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo
73
lieh gewesen, zwei kleine Kartons zu erhalten, denn seinen ganzen Besitz an Zeich-
nungen habe Buonarroti noch selbst in zwei Malen hintereinander kurz vor seinem
Tode verbrannt. Als Motiv für diese Vernichtung unbezahlbarer Schätze hat schon
Vasari die Scheu Buonarrotis angegeben, die Zeugen der
unsäglichen Mühsal seines Werdeprozesses den Augen der
Nachwelt preiszugeben. Vasari VII, 270: „Abruciö gran
numero di disegni, schizzi e cartoni fatti di man sua, accio
nessuno vedessi le fatiche durate da lui ei modi di
tentare l'ingenio suo per non apparire se non perfetto."
Michelangelo in den Gesprächen von S. Silvestro: „Die
wahre Regel bleibt es, viel Mühe zu verwenden und
dennoch mühelos Aussehendes zu schaffen." (Stein-
mann, Die sixtinische Kapelle. Anhang I. Die Hand-
zeichnungen Michelangelos. Seite 589.)
Auf einigen Blättern Michelangelos kann jedoch
der „modo", den ich beschrieb, vollständig übersehbar
nachgewiesen werden.
Es darf nicht erwartet werden, derartige Zeidi-
nungen zu finden, auf denen Kisten, Tische oder Stühle
dargestellt sind. Wenn diese Angabe der Situation bei
einer wirklich stehenden, sitzendenoder liegenden Figur
den Sinn hat, entweder durch deren senkrechte oder wage-
rechte Linien als Hilfe für die Aufzeichnung zu dienen,
oder nötig ist, um Felsen, Wolkenmassen oder dergl. zu
markieren, so wird sie bei Studien des hier beschriebenen
Gebietes als unnütz, bei Beginn die Illusion, beim Durch
führen die weitere Arbeit störend, vermieden werden.
Studien zum gekreuzigten Haman
Viele Maler schlagen ihr Modell wirklich ans
Kreuz. Gerade für dieses Problem bietet aber die
Methode unerwartete Möglichkeiten.
Zum Haman existieren folgende Zeichnungen:
I. und II.1) Studie für zwei Gekreuzigte. Feder-
zeichnung im British Museum. B. Berenson II, 84 n.
1487. Ph. Braun 23. Steinmann, Abb. 27. (Abb. 3.)
Abb. 2. OTTO HETTNER: Studie
III. Flüchtige Studie zum Haman. Federzeichnung im Louvre. Ph. Giraudon
1389. B. Berenson II, 103 n. 1590. Steinmann, Abb. 29. (Abb. 4.)
0 Die Beschreibungen der Zeichnungen sind aus Steinmann, Seite 596, aber in anderer
Anordnung, übernommen. Ich sage Herrn Prof. Steinmann für die liebenswürdige Überlassung
seines für diese Arbeit in Betracht kommenden Abbildungsmateriales (Abbildungen 3, 4, 6, 8, 11
und 12) auch hier meinen verbindlichsten Dank.
73
lieh gewesen, zwei kleine Kartons zu erhalten, denn seinen ganzen Besitz an Zeich-
nungen habe Buonarroti noch selbst in zwei Malen hintereinander kurz vor seinem
Tode verbrannt. Als Motiv für diese Vernichtung unbezahlbarer Schätze hat schon
Vasari die Scheu Buonarrotis angegeben, die Zeugen der
unsäglichen Mühsal seines Werdeprozesses den Augen der
Nachwelt preiszugeben. Vasari VII, 270: „Abruciö gran
numero di disegni, schizzi e cartoni fatti di man sua, accio
nessuno vedessi le fatiche durate da lui ei modi di
tentare l'ingenio suo per non apparire se non perfetto."
Michelangelo in den Gesprächen von S. Silvestro: „Die
wahre Regel bleibt es, viel Mühe zu verwenden und
dennoch mühelos Aussehendes zu schaffen." (Stein-
mann, Die sixtinische Kapelle. Anhang I. Die Hand-
zeichnungen Michelangelos. Seite 589.)
Auf einigen Blättern Michelangelos kann jedoch
der „modo", den ich beschrieb, vollständig übersehbar
nachgewiesen werden.
Es darf nicht erwartet werden, derartige Zeidi-
nungen zu finden, auf denen Kisten, Tische oder Stühle
dargestellt sind. Wenn diese Angabe der Situation bei
einer wirklich stehenden, sitzendenoder liegenden Figur
den Sinn hat, entweder durch deren senkrechte oder wage-
rechte Linien als Hilfe für die Aufzeichnung zu dienen,
oder nötig ist, um Felsen, Wolkenmassen oder dergl. zu
markieren, so wird sie bei Studien des hier beschriebenen
Gebietes als unnütz, bei Beginn die Illusion, beim Durch
führen die weitere Arbeit störend, vermieden werden.
Studien zum gekreuzigten Haman
Viele Maler schlagen ihr Modell wirklich ans
Kreuz. Gerade für dieses Problem bietet aber die
Methode unerwartete Möglichkeiten.
Zum Haman existieren folgende Zeichnungen:
I. und II.1) Studie für zwei Gekreuzigte. Feder-
zeichnung im British Museum. B. Berenson II, 84 n.
1487. Ph. Braun 23. Steinmann, Abb. 27. (Abb. 3.)
Abb. 2. OTTO HETTNER: Studie
III. Flüchtige Studie zum Haman. Federzeichnung im Louvre. Ph. Giraudon
1389. B. Berenson II, 103 n. 1590. Steinmann, Abb. 29. (Abb. 4.)
0 Die Beschreibungen der Zeichnungen sind aus Steinmann, Seite 596, aber in anderer
Anordnung, übernommen. Ich sage Herrn Prof. Steinmann für die liebenswürdige Überlassung
seines für diese Arbeit in Betracht kommenden Abbildungsmateriales (Abbildungen 3, 4, 6, 8, 11
und 12) auch hier meinen verbindlichsten Dank.