0. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo
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liegenden Modelle gezeichneten, fehlen. Das Vorhandensein der Randzeichnungen
ist, ohne deren Ursache zu verstehen, als Tatsache aufgenommen. Und da der
Kopist ein ordentlicher Mann war, hat ihn die auf seinem Originale sich aus
der Methode erklärende „Flüchtigkeit" der Füße geärgert. Er hat sie verbessern
wollen. Darum übertrug er widersinniger Weise aus der ersten Ergänzungsstudie
die für die Beugung des Fußes charakteristische Linie in die Gesamtansicht und
präzisierte an deren linkem Fuße die suchenden Linien, indem er die feste Form des
ruhenden der unteren Randzeichnung in spinnemageren Strichen einfügte. — In welcher
Auffassung ein Schüler eine Studie seines Meisters wiederholt, zeigt diese Kopie. In
der Tat hat er keinen Grund, die Korrekturen und Mühseligkeiten, die er auf dem
Vorbilde findet, abzuzeichnen. Es kommt ihm auf die definitive Form an. — Das
andere Blatt trägt dagegen die Merkmale der Entstehung. Es wäre also, wenn ihm
durchaus die Echtheit abgesprochen werden soll, nur möglich, es als bewußte Fälschung,
in die die spezielle Methode der Entstehung mit hineingeheimnist worden wäre oder
als eine „Chinoiserie" aufzufassen. Daran hat aber kein Kritiker des Blattes gedacht.
Es ist ausschließlich wegen der Qualität angezweifelt worden. Daß diese nicht
die Klarheit und Einheit anderer Studien des Meisters aufweist, erklärt sich aus den
besonderen Umständen des Werdeganges: ein bequem liegendes Modell für einen
revoltierten Titanen, der Zeichner auf einem Gerüste, gezwungen, es nach unten über
seine rechte Schulter hinüber zu beobachten, wodurch eine mechanische Behemmung
der zeichnenden Bewegung entsteht, die zu kleinen, unfreien Strichen zwingt; ein Ab-
setzen der Arbeit, um nach anderen Modellkombinationen Ergänzungsstudien vorzu-
nehmen, deren zwei spätere gar noch das Verso aufweist, und so die Beziehung zu
dem Blatte des Teyler-Museums deutlich macht, und dann ein überlegendes Einträgen
der neuen Erfahrungen in die Gesamtansicht. So verbürgen gerade die Gründe die
Editheit, derentwegen sie bisher abgesprochen werden konnte. Nicht von Michelangelos
Hand wäre eine einheitliche Studie zum Haman.
Dieselbe Tatsache, daß wir die intimsten Momente des Werdeganges verfolgen
können, macht seine Autorschaft der Zeichnungen auf dem Blatte des Teyler-Museums
zweifellos. (Schluß folgt.)
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liegenden Modelle gezeichneten, fehlen. Das Vorhandensein der Randzeichnungen
ist, ohne deren Ursache zu verstehen, als Tatsache aufgenommen. Und da der
Kopist ein ordentlicher Mann war, hat ihn die auf seinem Originale sich aus
der Methode erklärende „Flüchtigkeit" der Füße geärgert. Er hat sie verbessern
wollen. Darum übertrug er widersinniger Weise aus der ersten Ergänzungsstudie
die für die Beugung des Fußes charakteristische Linie in die Gesamtansicht und
präzisierte an deren linkem Fuße die suchenden Linien, indem er die feste Form des
ruhenden der unteren Randzeichnung in spinnemageren Strichen einfügte. — In welcher
Auffassung ein Schüler eine Studie seines Meisters wiederholt, zeigt diese Kopie. In
der Tat hat er keinen Grund, die Korrekturen und Mühseligkeiten, die er auf dem
Vorbilde findet, abzuzeichnen. Es kommt ihm auf die definitive Form an. — Das
andere Blatt trägt dagegen die Merkmale der Entstehung. Es wäre also, wenn ihm
durchaus die Echtheit abgesprochen werden soll, nur möglich, es als bewußte Fälschung,
in die die spezielle Methode der Entstehung mit hineingeheimnist worden wäre oder
als eine „Chinoiserie" aufzufassen. Daran hat aber kein Kritiker des Blattes gedacht.
Es ist ausschließlich wegen der Qualität angezweifelt worden. Daß diese nicht
die Klarheit und Einheit anderer Studien des Meisters aufweist, erklärt sich aus den
besonderen Umständen des Werdeganges: ein bequem liegendes Modell für einen
revoltierten Titanen, der Zeichner auf einem Gerüste, gezwungen, es nach unten über
seine rechte Schulter hinüber zu beobachten, wodurch eine mechanische Behemmung
der zeichnenden Bewegung entsteht, die zu kleinen, unfreien Strichen zwingt; ein Ab-
setzen der Arbeit, um nach anderen Modellkombinationen Ergänzungsstudien vorzu-
nehmen, deren zwei spätere gar noch das Verso aufweist, und so die Beziehung zu
dem Blatte des Teyler-Museums deutlich macht, und dann ein überlegendes Einträgen
der neuen Erfahrungen in die Gesamtansicht. So verbürgen gerade die Gründe die
Editheit, derentwegen sie bisher abgesprochen werden konnte. Nicht von Michelangelos
Hand wäre eine einheitliche Studie zum Haman.
Dieselbe Tatsache, daß wir die intimsten Momente des Werdeganges verfolgen
können, macht seine Autorschaft der Zeichnungen auf dem Blatte des Teyler-Museums
zweifellos. (Schluß folgt.)