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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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A. Feigel. San Pietro in Civate

211


Abb. 8. S. PIETRO IN CIVATE □
Ciborium, linke Seite (Detail)

Elfenbeinschnitzereien? Wie der Mantel über die Schultern geschlagen ist, wie er am
Oberarm eckig gebrochen eine „Dachfalte" bildet, sich auf dem Kissen des Thrones
staut und dann längs des Beines herabläuft, für all das finden wir ähnliche Beispiele
in Byzanz. Die überraschendste Verwandtschaft mit dieser Kunst zeigen die Köpfe.
Der edel geschnittene Kopf Christi mit den weich fließenden Locken, dem spitzen Barte,
dem schmalen Nasenrücken und den großen ausdrucksvollen Augen, könnte ebensogut
auf einem elfenbeingeschnitzten Buchdeckel byzantinischer Herkunft sein. Auch die vollen,
fleischigen Köpfe der Frauen und Engel weisen auf Ostrom. Auf dieselbe Quelle geht
die Typik der Engel des großen Fresko zurück. Man braucht daraufhin nur den ge-
wappneten Michael mit seinen flau-
migen Flügeln zu betrachten. Auch
die Art und Weise, wie der Maler
sich hilft, um die große Anzahl
der Streiter glaubhaft zu machen
durch Übereinanderreihung der Kö-
pfe und Heiligenscheine beruht auf
dem byzantinischen Kompositions-
schema. Freilich bin ich nicht in
der Lage mitzuteilen, ob die Ikono-
graphie dieses großen Gemäldes
vollständig mit byzantinischen Dar-
stellungen übereinstimmt. Das Ma-
terial ist hierfür noch zu wenig
bekannt. Auf dieVerwandtschaft des
gebärenden Weibes mit Maria in
Geburtsdarstellungen wurde schon

oben hingewiesen. Vielleicht wollte man durch diese Annäherung die Identifizierung des
apokalyptischen Weibes mit der Muttergottes offenkundiger gestalten. Ich vermute,
daß dieser Zug nicht der byzantinischen Tradition angehört, denn das Malerbuch vom
Berge Athos1) verlangt eine ganz andere Darstellung, ungefähr in der Art, wie sich
der Meister der Fresken von Saint-Savin 2) seiner Aufgabe erledigte. Auch die Ge-
staltung des Drachens als „dicke Schlange, aus deren Hals eine Reihe von sechs kurzen
Köpfen hervorwächst", scheint nicht auf Byzanz hinzudeuten; denn diese ist, wie
Frimmel meint, für Italien charakteristisch.8) Auch eine solche Kleinigkeit, wie die
Haltung des frontal sitzenden Engels bei dem Besuch der Frauen am Grabe, wie er
zu diesen spricht, ohne im kunstvollen Kontrapost auf die Tücher im Sarkophage hin-
zuweisen, läßt unsern Schluß rechtfertigen, daß wir trotz aller Byzantinismen in
der Einzelausführung den Künstler nicht für einen Griechen halten. Wenn
wir der Anregung Frimmels folgen wollen, so müssen wir annehmen, daß die Werke
in Civate von einem italienischen Meister geschaffen wurden. Es sei hier die

') Vergl. die Aufgabe von Schäfer, S. 251.

-) Abb.: Andre Michel, Histoire de l'art Bd. I, 2, Fig. 410.

3) Frimmel: Die Apokalypse in den Bilderhandschriften des Mittelalters. Wien 1885. S. 33 f.
 
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