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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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STUDIEN UND FORSCHUNGEN

DIE ST. BARBARASÄULE
ZU BRESLAU
Die mittelalterliche Kunst Schlesiens und vor
allem Breslaus war bisher nicht dem weiteren
Kreise der Gelehrten bekannt. Die Lokal-
forschung eines Alwin Schultz, Luchs und Lutsch
hat in zerstreuten, teilweise schwer zugänglichen
Schriften schon eine große Arbeit geleistet, doch
erst eine umfassende Publikation wird der All-
gemeinheit die Augen öffnen für die Schönheiten
schlesischer Kunstbetätigung.
Die Beziehungen mit den großen Kunst-
zentren1) Italiens und Deutschlands sind zum
Teil durch Veröffentlichungen über schlesische
Malerei aufgedeckt, weniger hat man sich mit
der Plastik beschäftigt.
Zwar weiß man, daß im Dom sich die Grab-
platte des Bischofs Johann IV. Roth befindet
mit der Inschrift „gemacht zu Nurinberg fon mir
peter Fischer im 1496 iar"; zwar verraten Epi-
taphien an St. Elisabeth ihre Anfertigung nach
Entwürfen Dürers, aber von größerem Interesse
ist es, was das Land selbst an bodenständiger
Kunst für die Menschheit geleistet hat. Auch
da ist uns neben den Werken selbst Rühmliches
in Urkunden erhalten. Im XV. Jahrhundert
ließ sich der Magistrat von Danzig den Meister
Martin Frey aus Hirschberg kommen, und schle-
sische Meister wirkten in Polen zumal in Kalisch.
Die Holzplastik wird von Kennern der Lü-
becker gleichgestellt; so seien ihrer hohen Be-
deutung wegen der Marienaltar aus St. Elisabeth
(nach Schultz 1470—1480) und der Stanislaus-
altar aus St. Maria Magdalena (1508) genannt.
Aus dem Fehlen an gutem Sandstein erklärt
Schultz das Fehlen großer Steinskulpturen; aber
nach meiner Ansicht ist er mit diesem Urteil,
sowohl gegen das Material, wie gegen die Kunst,
zu streng.
Die Steinbildnerei blühte im XIII., XIV.,
XV. Jahrhundert, und eine ganze Reihe von be-
zeichneten Werken ist uns erhalten. Joducus
Tauchen, ein Liegnitzer Kind, der sich im Aus-
land in seiner Kunst gebildet hatte, sei vor
allem genannt. Von ihm stammt das Sakra-
mentshäuschen in St. Elisabeth (1453), der Chor

9 Näheres bei Alwin Schultz: Schlesiens Kunstleben
im XV.—XVII. Jahrhundert. Publikation des Vereins für
Geschichte der Bildenden Künste zu Breslau. Breslau 1872.

der Sandkirche und sogar eine Reihe Erz-
denkmäler.1)
Dieses Sakramentshäuschen hat dem Kunst-
werk, das ich vorführen will, im Aufbau zum
Muster gedient, wenn auch die jüngere Nach-
ahmung ihr Vorbild durch Formenschönheit
übertrifft.
Diese sogenannte Barbarasäule befindet sich
heute an einem Strebepfeiler der gleichnamigen
Kirche eingebaut.
Hier hat sie auch A. Schultz gesehen, der
ihr das Prädikat ausstellt, daß sie „weniger
durch Schönheit der Figur als durch zierliche
Formen des Sockels und des Baldachins vor-
teilhaft wirkt".
H. Lutsch2) lobt den „brav gearbeiteten
Faltenwurf", stellt einen „spätmittelalterlichen
idealisierten Typus" fest und erkennt schon die
Bedeutung der Plastik an, indem er ihr zwei
Sternchen als Auszeichnung verleiht.
Ehe wir dieses Werk ästhetisch würdigen
und einigermaßen in die anderen noch vor-
handenen Bildwerke einzureihen suchen, möchten
wir seine Entstehungszeit festlegen.
Die St. Barbarasäule befand sich nämlich bis
zum Jahre 1863 nicht an der Kirche St. Barbara,
sondern an der Ecke Reusche- und Nikolaistraße.
Erst nach Abbruch des Hauses wurde sie
1865 an die gleichnamige Kirche verlegt und so
erhalten. An seiner alten Stelle zeigen uns das
Werk die Bilder von A. Wöffl (Schlesisches
Museum N. 743 — 744) und eine Zeichnung
C. F. Bach (J - 1829)A)
Das Haus, an dem die St. Barbara stand, war
ein Hospital, und über seine Bauzeit ist die
Ansicht schwankend. In dem Verzeichnis der

9 Näheres bei A. Schultz. Diss. de Jodoco Tauchen.
Viat. 1864, und Zeitschrift des Vereins für Geschichte und
Altertum Schlesiens, X. 131.
, H. Lutsch, Kunstdenkmäler der Stadt Breslau. 1886.
S. 244.
3) Diese Zeichnung ist veröffentlicht in Robert Becker:
Aus Alt-Breslau (Schriften des Vereins für Geschichte der
Bilden Künste zu Breslau). Breslau 1900. Die Jahreszahl
auf dem A. Wölfflschen Gemälde (Nr. 743), nämlich 1867,
darf uns nicht zu dem Schlüsse veranlassen, daß die
Barbarasäule noch in diesem Jahre an seiner alten Stelle
gestanden habe. Wölffl hat oftmals auf Grund vorhan-
dener Zeichnungen im Auftrage von Kunstfreunden Archi-
tekturstücke von Alt-Breslau gemalt, lange nach der
Niederreißung; so für Conrad Fischer das „Leinwandhaus"
im Jahre 1891. Eine flüchtige Sikzze der Barbaraecke be-
findet sich noch im Breslauer Privatbesitz, wahrscheinlich
aus dem Jahre 1857.
 
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