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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

statt des Geschmeides oder der Guirlande eine feste Architektur, statt des labilen
Gleichgewichts ein sicheres Ruhen auf breiten Fundamenten. An den zwischen diesen
beiden Bildern liegenden Arbeiten, die meist über den Entwurf nicht weit hinaus-
gediehen sind, läßt sich die Entwicklung, die sich natürlich nicht in korrekter Gerad-
linigkeit vollzog, verfolgen. Die Mitte des Wegs mag etwa die „Römische Landschaft"
in Schleißheim (gemalt 1868) bezeichnen. Mit ihrem in die Ferne sich verlierenden
Hintergrund nimmt sie fast schon die entschiedene Weiträumigkeit der letzten Phase
vorweg; nur wirken die Figuren des Vordergrunds noch nicht so energisch als raum-
gliedernde Faktoren. Doch wird dies Bild vielen, denen das ceuvre Marees nicht nur
das corpus juris der Raumkunst ist, besonders lieb sein wegen der zauberischen Schön-
heit seiner Stimmung. In dem Silbergrau, mit dem sein Kolorit durchwebt ist, in der
traumhaften Ruhe der Gestalten liegt eine fast musikalische Wirkung. Wenn eine
spätere Arbeit des Meisters als „Erinnerung an Rubens" bezeichnet wird, so darf man
dieser den Namen „Huldigung für Giorgione" geben. — In einer Äußerlichkeit: dem
unbefangenen Nebeneinanderstellen bekleideter und nackter Figuren, erinnert freilich
die „Waldszene" noch direkter an den Maler des „Konzerts" im Louvre (heiße dieser
nun Giorgione oder nicht) und des „Gewitters" im Palazzo Giovanelli; aber die Gior-
gioneske Stimmung ist jetzt verklungen, im verglühenden Abendhimmel, im Dämmern
der Baummassen, von dem der nackte Leib des sitzenden Mannes sich in gedämpftem
Leuchten abhebt, ist fast eher etwas von deutscher Romantik. So sicher und groß die
Trägerin dieses Stimmungsgehaltes, die Flächendisposition, behandelt ist, noch hat
Marees den letzten Schritt nicht getan; noch ist nicht der Raumeindruck, die ideale
Illusion des Dreidimensionalen, zur vollen entscheidenden Wirkung gebracht.
„Marees betrachtete die Arbeit an der Bildtafel als Surrogat für die Wand-
malerei", so lesen wir in K. v. Pidolls Marees-Erinnerungen.1) Es war das ausschlag-
gebende Verhängnis in seiner Existenz, daß er nur einmal in seinem Leben, statt am
„Surrogat", an der Wandmalerei selbst seine Kräfte versuchen und bewähren durfte;
ein Glück und Trost für uns Nachlebende, daß es doch wenigstens dieses eine Mal
geschah. In voller Manneskraft, im 36. Lebensjahre, stand Marees, als ihm die Mög-
lichkeit gewährt wurde, einen Raum mit Wandmalereien ganz nach seinem Sinn und
Belieben zu schmücken.
Von diesen Fresken im Bibliotheksaale der Zoologischen Station zu Neapel konnten
sich bisher diejenigen, die nicht in Neapel selbst gewesen sind, nur einen schwachen
Begriff machen nach den ziemlich ungenügenden Photographien, die vor einigen Jahren
in der „Kunst für Alle" (XVII, S. 169ff.) reproduziert wurden.2) Die großen Ölstudien

9 Aus der Werkstatt eines Künstlers. Erinnerungen an den Maler Hans von Marees
aus den Jahren 1880-81 und 1884—85, S. 40. (Ich zitiere nach der ersten, als Manuskript
gedruckten Ausgabe, Luxemburg 1890.)
, Jetzt liegt auch ein großes Tafelwerk vor: Hans von Marees Fresken in Neapel. Text
von Paul Hartwig (Berlin, Cassirer).
 
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