W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 299
Details durch Aussparen. Ein paar Züge zaubern einen Zweig hervor. Die Zierlich-
keit des Vogels wird betont, während bei dem Falken Kühnheit und Kraft zu uns
sprechen. Dort eine glänzende leuchtende Tönung, hier eine matte, stumpfe. Das ist
die echte Symbolik der japanischen Tiermalerei, daß man vor dem einem Werk
sagen kann, es stelle etwa kühne Kraft,
vor dem anderen, es stelle zierliche Grazie
dar. Die literarischen und tradionellen Ver-
knüpfungen sind für den ästhetischen Wert
nur sekundär.
Zum Schluß drei Figurenbilder. Da
blickt uns Bodhidharma (Abb. 16), der Gründer
der Zensekte, mit seinen liderlosen Augen
durchdringend an. Zahllos sind diese Bod-
hidharmaköpfe, diese Dokumente des Zenein-
flusses, in der Ashikagazeit. Ein besonders
schönes Original von Soami, einem Zeit-
genossen Sesshus, haben wir in Berlin in
der Sammlung Gustav Jakoby. Sesshus
Dharma offenbart die Macht konzentriertester
Linienkunst in ihrem letztem Höhepunkt.
Mit überraschend wenigen Linien und
Wischern ist die Büste in den Rahmen ge-
setzt, völlig rund. Gerade die Sparsamkeit
der Mittel macht es, daß uns die aus diesem
Kopfe sprechende Persönlichkei geradezu
aufgezwungen wird. Solch eine ideale
Heiligengestalt kann an edler Innerlichkeit
Dürers Aposteln an die Seite gestellt werden.
— Die zweite Figurendarstellung (Abb. 17)
zeigt die liebliche Kwannon, die gnaden-
reiche Göttin. Wurde in der Fujiwarazeit
Amida, die Herrin des Paradieses, besonders
verehrt, so jetzt Kwannon. Eine große Ver-
änderung in der künstlerischen Auffassung
der buddhistischen Gottheiten im Vergleich
zu früher hat stattgefunden. Keine gnosti-
schen Begriffsgestalten mehr, sondern wirk-
liche Menschen in landschaftlicher Umgebung.
Abb. 17. SESSHU. Kwannon □
Selected Relics. Band 15
Eine liebliche Frau ist das eigentliche Thema geworden. Der Bildraum ist außer-
ordentlich überfüllt. Vermutlich unter dem Einfluß der chinesischen Mingmalerei.
Aber die Überfüllung ist klug in den Dienst des Motivs gestellt. Auf einem über-
hängenden Felsen sitzt Kwannon. Unter dem Felsen stürzt ein Gießbach dahin, der
von ganz ferne herkommt; sechs Windungen sind zu verfolgen. Ein mächtiger Drache
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Details durch Aussparen. Ein paar Züge zaubern einen Zweig hervor. Die Zierlich-
keit des Vogels wird betont, während bei dem Falken Kühnheit und Kraft zu uns
sprechen. Dort eine glänzende leuchtende Tönung, hier eine matte, stumpfe. Das ist
die echte Symbolik der japanischen Tiermalerei, daß man vor dem einem Werk
sagen kann, es stelle etwa kühne Kraft,
vor dem anderen, es stelle zierliche Grazie
dar. Die literarischen und tradionellen Ver-
knüpfungen sind für den ästhetischen Wert
nur sekundär.
Zum Schluß drei Figurenbilder. Da
blickt uns Bodhidharma (Abb. 16), der Gründer
der Zensekte, mit seinen liderlosen Augen
durchdringend an. Zahllos sind diese Bod-
hidharmaköpfe, diese Dokumente des Zenein-
flusses, in der Ashikagazeit. Ein besonders
schönes Original von Soami, einem Zeit-
genossen Sesshus, haben wir in Berlin in
der Sammlung Gustav Jakoby. Sesshus
Dharma offenbart die Macht konzentriertester
Linienkunst in ihrem letztem Höhepunkt.
Mit überraschend wenigen Linien und
Wischern ist die Büste in den Rahmen ge-
setzt, völlig rund. Gerade die Sparsamkeit
der Mittel macht es, daß uns die aus diesem
Kopfe sprechende Persönlichkei geradezu
aufgezwungen wird. Solch eine ideale
Heiligengestalt kann an edler Innerlichkeit
Dürers Aposteln an die Seite gestellt werden.
— Die zweite Figurendarstellung (Abb. 17)
zeigt die liebliche Kwannon, die gnaden-
reiche Göttin. Wurde in der Fujiwarazeit
Amida, die Herrin des Paradieses, besonders
verehrt, so jetzt Kwannon. Eine große Ver-
änderung in der künstlerischen Auffassung
der buddhistischen Gottheiten im Vergleich
zu früher hat stattgefunden. Keine gnosti-
schen Begriffsgestalten mehr, sondern wirk-
liche Menschen in landschaftlicher Umgebung.
Abb. 17. SESSHU. Kwannon □
Selected Relics. Band 15
Eine liebliche Frau ist das eigentliche Thema geworden. Der Bildraum ist außer-
ordentlich überfüllt. Vermutlich unter dem Einfluß der chinesischen Mingmalerei.
Aber die Überfüllung ist klug in den Dienst des Motivs gestellt. Auf einem über-
hängenden Felsen sitzt Kwannon. Unter dem Felsen stürzt ein Gießbach dahin, der
von ganz ferne herkommt; sechs Windungen sind zu verfolgen. Ein mächtiger Drache
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