W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 301
den Reichtum an Tönen der Schwarzweißskala zu entlocken. Die Japaner schätzen an
dem Meister den Pinselstrich am höchsten. Auch zu uns spricht Sesshus Genius über-
zeugend aus seinen kühn hingeworfenen, im Ausdruck fast überspannten Linien.
Ich bin mir bewußt, auch nicht im entferntesten Mitsunagas und Sesshus Man-
nigfaltigkeit und Bedeutung zur Anschauung gebracht zu haben. Dazu ist vor allem
der Rahmen eines Aufsatzes zu eng. Und dann lag es auch gar nicht in meiner Ab-
sicht. Ich wollte viel mehr den Gegensatz zwischen Yamato- und chinesisch
beeinflußter Malerei in ihren wichtigsten Vertretern charakterisieren. Mit-
sunaga ist ein Sproß aus ritterlicher Familie, Sesshu ein Bonze. Jener erzählt bunte
und phantastische Geschichten, läßt Menschen agieren, deren karikaturnahe Gesichter
nur physische Tätigkeit verraten. Dieser schafft durchgeistigte Idealgestalten.
Dort Japaner aus allen Klassen des Adels und des Volkes, in Zeittracht und auf den
Straßen ihrer Städte. Hier chinesische Eremiten inmitten der Großartigkeit der Natur.
Aber für Sesshu ist die Menschendarstellung überhaupt nicht mehr der einzige Stoff-
kreis, sondern die ideale Landschaftsmalerei beherrscht neben Tiermotiven weitaus zum
größten Teil sein Streben. Bietet Mitsunaga miniaturistische Emakimonos in reichem
Kolorit, so gibt Sesshu vor allem wandschmückende monochrome Kakemonos. Und
sogar seine Emakimonos haben den illustrierenden Charakter verloren. Sesshus Raum
weitet sich nach Prinzipien, wie sie auch in Europa üblich sind. So lehrt es ja das
chinesische Vorbild. Mitsunaga und die Yamatoschuien wenden die „umgekehrte Per-
spektive" an. Jener arbeitet mit kräftigem Pinsel in wuchtigen Zügen, dieser mit
feinerem Pinsel, gleichsam illuminierend. Das sind die auffallendsten Stildifferenzen,
die sich auf unsern Beispielen verfolgen ließen.
Und noch Eines: Mitsunaga und Sesshu bezeichnen die historisch wichtigsten
Perioden japanischer Malerei, europäischer Gotik und Renaissance vergleichbar. Nach
diesen Zeitabschnitten ist die Schöpferkraft des japanischen Genius zu ermessen. Da-
mals wurden die Grundlagen zu allen kommenden Stilen gelegt. Ebensowohl
zu Korins Dekorationsstücken und zu Okyos Realismus, wie zum Ukiyoye. Ohne die
Kenntnis dieser Perioden ist ein wahres umfassendes Verständnis der japanischen
Malerei unmöglich. Dabei sei nicht vergessen, daß trotz der imponierenden Großartig-
keit Sesshus ein Schöpfer wie Mitsunaga für die Japanische Kunst unendlich viel be-
deutsamer erscheint. Ist doch Mitsunaga ein echtes Produkt seines Landes, ein Ver-
künder japanischen Wollens und Fühlens. Sesshu aber bleibt der Interpret fremder
Errungenschaften und fremder Größe. Er ist ein Japaner, der chinesisch fühlt, wie
etwa Thorwaldsen ein antik empfindender Germane sein dürfte. —
den Reichtum an Tönen der Schwarzweißskala zu entlocken. Die Japaner schätzen an
dem Meister den Pinselstrich am höchsten. Auch zu uns spricht Sesshus Genius über-
zeugend aus seinen kühn hingeworfenen, im Ausdruck fast überspannten Linien.
Ich bin mir bewußt, auch nicht im entferntesten Mitsunagas und Sesshus Man-
nigfaltigkeit und Bedeutung zur Anschauung gebracht zu haben. Dazu ist vor allem
der Rahmen eines Aufsatzes zu eng. Und dann lag es auch gar nicht in meiner Ab-
sicht. Ich wollte viel mehr den Gegensatz zwischen Yamato- und chinesisch
beeinflußter Malerei in ihren wichtigsten Vertretern charakterisieren. Mit-
sunaga ist ein Sproß aus ritterlicher Familie, Sesshu ein Bonze. Jener erzählt bunte
und phantastische Geschichten, läßt Menschen agieren, deren karikaturnahe Gesichter
nur physische Tätigkeit verraten. Dieser schafft durchgeistigte Idealgestalten.
Dort Japaner aus allen Klassen des Adels und des Volkes, in Zeittracht und auf den
Straßen ihrer Städte. Hier chinesische Eremiten inmitten der Großartigkeit der Natur.
Aber für Sesshu ist die Menschendarstellung überhaupt nicht mehr der einzige Stoff-
kreis, sondern die ideale Landschaftsmalerei beherrscht neben Tiermotiven weitaus zum
größten Teil sein Streben. Bietet Mitsunaga miniaturistische Emakimonos in reichem
Kolorit, so gibt Sesshu vor allem wandschmückende monochrome Kakemonos. Und
sogar seine Emakimonos haben den illustrierenden Charakter verloren. Sesshus Raum
weitet sich nach Prinzipien, wie sie auch in Europa üblich sind. So lehrt es ja das
chinesische Vorbild. Mitsunaga und die Yamatoschuien wenden die „umgekehrte Per-
spektive" an. Jener arbeitet mit kräftigem Pinsel in wuchtigen Zügen, dieser mit
feinerem Pinsel, gleichsam illuminierend. Das sind die auffallendsten Stildifferenzen,
die sich auf unsern Beispielen verfolgen ließen.
Und noch Eines: Mitsunaga und Sesshu bezeichnen die historisch wichtigsten
Perioden japanischer Malerei, europäischer Gotik und Renaissance vergleichbar. Nach
diesen Zeitabschnitten ist die Schöpferkraft des japanischen Genius zu ermessen. Da-
mals wurden die Grundlagen zu allen kommenden Stilen gelegt. Ebensowohl
zu Korins Dekorationsstücken und zu Okyos Realismus, wie zum Ukiyoye. Ohne die
Kenntnis dieser Perioden ist ein wahres umfassendes Verständnis der japanischen
Malerei unmöglich. Dabei sei nicht vergessen, daß trotz der imponierenden Großartig-
keit Sesshus ein Schöpfer wie Mitsunaga für die Japanische Kunst unendlich viel be-
deutsamer erscheint. Ist doch Mitsunaga ein echtes Produkt seines Landes, ein Ver-
künder japanischen Wollens und Fühlens. Sesshu aber bleibt der Interpret fremder
Errungenschaften und fremder Größe. Er ist ein Japaner, der chinesisch fühlt, wie
etwa Thorwaldsen ein antik empfindender Germane sein dürfte. —