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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

lerische Gestalt empfingen. Die für die heimische Kultur somit wiedergewonnene Ver-
gangenheit regte zunächst die Auffassung und Vorstellungskraft an zu einer recht eigen-
mächtigen Deutung des geistigen Gehaltes der überkommenen Werke. Das Wesen und
die besonderen Bedingungen mittelalterlicher Produktion, die Art des technischen und
handwerklichen Betriebes erschlossen sich nur allmählich. Eine ganz moderne Senti-
mentalität des Empfindens, die Überschwänglichkeit, die den Romantikern eigen, und
stets mit einfloß, läßt namentlich in Dichtung1) und Malerei kaum einen Zweifel über
die Zeit und die Art der Entstehung dieser Erneuerungsversuche aufkommen.
Dabei übersieht man noch, daß einzelne der jetzt als echt angefochtenen Tafel-
bilder nachweislich schon bekannt waren, ehe noch jene Bestrebungen einer Repristi-
nation der altheimischen Kunst zugleich mit der deutschen Erhebung zu den Befreiungs-
kriegen einsetzte. Sie tauchten weit früher auf, als die Prinzipien der französischen
Revolution sich ausbreiteten und eine neue Weltanschauung die Reste des Mittelalters
verächtlich wegfegte.
Kaum die imposanten Massen des Kölner Domes hielten damals diesem Ansturm
stand. Als „temoignage d'un art, qui n'existe plus" wurde das Innere zeitweise pro-
fanen Zwecken eingeräumt, nachdem man Portalskulpturen und Glasgemälde entfernt,
die innere Ausstattung zum Teil vernichtet hatte. Durch die Säkularisation (Dekret vom
9. Juni 1802) stieg die Gelegenheit billigen Erwerbs an altem Kirchenschmuck ins Un-
gemessene. Zweiundvierzig Kirchen und Klosterkapellen sind damals in Köln nieder-
gerissen worden.
Die Verschiedenartigkeit und die Menge der Erzeugnisse, die nach und nach
ans Licht traten, machten es unmöglich, sogleich die Bedeutung eines jeden Werkes
annähernd richtig zu erfassen oder gar den Gang der Entwicklung mittelalterlicher
Kunstübung zu überschauen; auch mangelte es fast an allen Vorkenntnissen. Die
Schätzung erreichte oft nur den Materialwert. Gelegentlich sind Tafelbilder altdeutscher
Meister sogar zu Fensterläden und Tischplatten verarbeitet, als Brennholz verwandt
worden oder sie dienten zur Reparatur an Taubenschlag und Hühnerstall. An den
Hauptwerken haftete immer noch ein gewisser alter Ruf, der letzte Nachklang früherer
Veneration. „Die meisten hatten schon vor hundert und hundertfünfzig Jahren dem
neuen Geschmack in der Kirchenverzierung weichen müssen und waren in Neben-
kapellen, Kapitelsäle, Sakristeien und Schatzkammern versetzt worden, wo sie zwar
wenig betrachtet aber meistens gut erhalten wurden."
Sulpiz Boisseree vergleicht die Ausbeute in diesen Jahren der Bergung unschein-
barer Schätze nach einem ungeheuren Schiffbruch. „Wieviel Köstliches konnte in
dem Sturm untergegangen sein; wie vieles konnten die bewegten Wellen noch an den
Strand spülen." (Sulpiz Boisseree I. Stuttgart 1862. S. 29.)
Unruhe, Besorgnis und freudige Überraschung wechseln. Zu einer ausgebreiteten
systematischen Betrachtung der Denkmäler lag das Material noch ungesichtet, für eine
ruhige Würdigung des Wiedergewonnenen oder eine Vertiefung in Formen und Stil,

9 Vgl. etwa L. Tiecks: „Minnelieder aus dem schwäbischen Zeitalter" (1803) oder Clemens
Brentanos: „Chronika eines fahrenden Schülers" (1804).
 
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