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Monatshefte für Kunstwissenschaft
Deutschen zum Teil noch unverständliche Kunde der in dieser Weise nie
geahndeten, fremden griechischen Kunstweise gab uns die Maria mit dem Kinde
auf Goldgrund, welche Melchior bei der kranken Nonne fand." — „Es mußte
erst eine Reihe verschiedener Vorstellungen in dieser Art entdeckt werden, um das
ganze Wesen derselben in Ausdruck, Gestalt und Farbe zu erkennen; die drei Tafeln,
Christus am Kreuze mit der Maria und den zwölf Aposteln (aus der Vorhalle der
St. Lorenzkirche), die ich bald nach jenem Muttergottesbilde fand, waren sehr will-
kommen. Dieses Werk, welches in Köpfen und Gewändern gleich die größte Mannig-
faltigkeit darbot, war hinreichend, uns über die Art, welcher es mit jenem alten Mutter-
gottesbild angehört, die Augen zu öffnen; diese meist bärtigen alten und jugendlichen
Köpfe, die außer einigen wenigen aus dem Leben gegriffenen Zügen, alle ein all-
gemeines höheres, aus dem Geist der christlichen Kunst hervorgegangenes Gepräge tragen,
noch mehr aber die mit künstlerischem Wohlgefallen geworfenen Falten der Gewänder,
deuteten ganz klar auf die neugriechische Weise und erinnerten uns an altitalienische
Bilder (Halbfiguren der Apostel auf Goldgrund angeblich aus S. Luigi in Rom), die wir
in Paris im Restaurationssaal gesehen haben".
„Kunstkenner, welche die neugriechischen Gemälde von Giotto gesehen haben,
versicherten, daß sie in Farbe und Zeichnung große Übereinstimmung — mit den Tafeln
des Heisterbacher Altars um 1450 — haben."
„Man mußte sich also überzeugen, wovon man bisher nicht die geringste
Ahnung gehabt hatte, daß die ältere kölnische Malerei vor den Brüdern van Eyck,
wie die gleichzeitige italienische sich ursprünglich auf alte Überlieferung byzantinischer
Vorbilder stütze..." „Nicht nur in der Darstellung der Geschichten und in den von
Jahrhundert zu Jahrhundert überlieferten Zügen der Hauptpersonen derselben, sondern
auch in der Zeichnung und ganzen künstlerischen Behandlung scheint von den frühe-
sten Zeiten bis ins 14. Jahrhundert die vollkommenste Einheit und Gleichheit in der
Malerei und Bildhauerei durch die ganze Christenheit geherrscht zu haben." (Sulpiz
Boisseree I, S. 35 u. 97 f.)
Das Kunstwerk aber, welches als das allererste die Aufmerksamkeit der Boisseree
auf eine milde ausgeglichene, dem scharfen eckigen Realismus noch vorausgehende
Stilweise hinlenkte, war — die Nürnberger Madonna mit der Erbsenblüte, eine
Schwester der heiligen Jungfrau mit der Wicke — jenes Tafelbild der kranken Nonne,
das wie das Kölner Flügelaltärchen jetzt als moderne Fälschung hingestellt wird. Jeden
Zweifel an diesem Ausweis beseitigt die Beschreibung, welche Amalie von Hellwig ver-
faßte und über deren Richtigkeit Sulpiz selbst gewacht hatte1).
9 Friedrich Schlegels „Deutsches Museum" II, 1813, „Beschreibung altdeutscher Gemälde
von Amalia von Hellweg". S.268. „Aus derselben Zeit nämlich der ersten Hälfte des XIV. Jahrh.
steht ein kleines lA Fuß breites 1% Fuß hohes Madonnenbild an Zartheit der Form und Aus-
druck jener Veronika nicht nach, auch stimmt der Goldgrund wie das rote grüngefütterte Gewand
mit dem erstbeschriebenen überein, jedoch ist an diesem übrigens sorgfältiger ausgeführten Bilde
die Carnation blasser und die Zeichnung unvollkommen, ja das Kind liegt in krüppelhafter Gestalt
in den auch verzeichneten Händen der Maria." Germanisches Museum zu Nürnberg Nr. 4. Auf
Nußbaumholz. Passavant, Kunstblatt 1841. Nr. 88. — Waagen: Kunstwerke und Künstler in
Deutschland I. Leipzig 1843. S. 171. Lithographie von J. N. Strixner 1832.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Deutschen zum Teil noch unverständliche Kunde der in dieser Weise nie
geahndeten, fremden griechischen Kunstweise gab uns die Maria mit dem Kinde
auf Goldgrund, welche Melchior bei der kranken Nonne fand." — „Es mußte
erst eine Reihe verschiedener Vorstellungen in dieser Art entdeckt werden, um das
ganze Wesen derselben in Ausdruck, Gestalt und Farbe zu erkennen; die drei Tafeln,
Christus am Kreuze mit der Maria und den zwölf Aposteln (aus der Vorhalle der
St. Lorenzkirche), die ich bald nach jenem Muttergottesbilde fand, waren sehr will-
kommen. Dieses Werk, welches in Köpfen und Gewändern gleich die größte Mannig-
faltigkeit darbot, war hinreichend, uns über die Art, welcher es mit jenem alten Mutter-
gottesbild angehört, die Augen zu öffnen; diese meist bärtigen alten und jugendlichen
Köpfe, die außer einigen wenigen aus dem Leben gegriffenen Zügen, alle ein all-
gemeines höheres, aus dem Geist der christlichen Kunst hervorgegangenes Gepräge tragen,
noch mehr aber die mit künstlerischem Wohlgefallen geworfenen Falten der Gewänder,
deuteten ganz klar auf die neugriechische Weise und erinnerten uns an altitalienische
Bilder (Halbfiguren der Apostel auf Goldgrund angeblich aus S. Luigi in Rom), die wir
in Paris im Restaurationssaal gesehen haben".
„Kunstkenner, welche die neugriechischen Gemälde von Giotto gesehen haben,
versicherten, daß sie in Farbe und Zeichnung große Übereinstimmung — mit den Tafeln
des Heisterbacher Altars um 1450 — haben."
„Man mußte sich also überzeugen, wovon man bisher nicht die geringste
Ahnung gehabt hatte, daß die ältere kölnische Malerei vor den Brüdern van Eyck,
wie die gleichzeitige italienische sich ursprünglich auf alte Überlieferung byzantinischer
Vorbilder stütze..." „Nicht nur in der Darstellung der Geschichten und in den von
Jahrhundert zu Jahrhundert überlieferten Zügen der Hauptpersonen derselben, sondern
auch in der Zeichnung und ganzen künstlerischen Behandlung scheint von den frühe-
sten Zeiten bis ins 14. Jahrhundert die vollkommenste Einheit und Gleichheit in der
Malerei und Bildhauerei durch die ganze Christenheit geherrscht zu haben." (Sulpiz
Boisseree I, S. 35 u. 97 f.)
Das Kunstwerk aber, welches als das allererste die Aufmerksamkeit der Boisseree
auf eine milde ausgeglichene, dem scharfen eckigen Realismus noch vorausgehende
Stilweise hinlenkte, war — die Nürnberger Madonna mit der Erbsenblüte, eine
Schwester der heiligen Jungfrau mit der Wicke — jenes Tafelbild der kranken Nonne,
das wie das Kölner Flügelaltärchen jetzt als moderne Fälschung hingestellt wird. Jeden
Zweifel an diesem Ausweis beseitigt die Beschreibung, welche Amalie von Hellwig ver-
faßte und über deren Richtigkeit Sulpiz selbst gewacht hatte1).
9 Friedrich Schlegels „Deutsches Museum" II, 1813, „Beschreibung altdeutscher Gemälde
von Amalia von Hellweg". S.268. „Aus derselben Zeit nämlich der ersten Hälfte des XIV. Jahrh.
steht ein kleines lA Fuß breites 1% Fuß hohes Madonnenbild an Zartheit der Form und Aus-
druck jener Veronika nicht nach, auch stimmt der Goldgrund wie das rote grüngefütterte Gewand
mit dem erstbeschriebenen überein, jedoch ist an diesem übrigens sorgfältiger ausgeführten Bilde
die Carnation blasser und die Zeichnung unvollkommen, ja das Kind liegt in krüppelhafter Gestalt
in den auch verzeichneten Händen der Maria." Germanisches Museum zu Nürnberg Nr. 4. Auf
Nußbaumholz. Passavant, Kunstblatt 1841. Nr. 88. — Waagen: Kunstwerke und Künstler in
Deutschland I. Leipzig 1843. S. 171. Lithographie von J. N. Strixner 1832.