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Monatshefte für Kunstwissenschaft
dieser Versammlung der Graubärte ausnimmt. „Es ist Messer Piero Carnesecchi, der
voreinstens Sekretär des Papstes war" — bedeutet Vasari, den Fragenden — „damals,
in seiner Jugend wurde er gemalt und ich habe jenes Bildnis für meine Arbeit
benutzt"1)... Wie Cosimo diese Erklärung aufnahm, hat uns Vasari leider nicht über-
liefert. Vielleicht, daß er seinem Giorgio einen Schritt vom Wege des getreuen Chronisten
verziehen und auf das Porträt Messer Pieros in dieser Umgebung gern verzichtet
hätte; vielleicht aber blickte er auch nachdenklich zu dem gemmenhaft feingeschnittenem
Jünglingsantlitz empor und sann mit ernstem Lächeln den seltsam verschlungenen
Wegen nach, auf denen das Schicksal die Menschen ihrer Bestimmung zuführt. Denn
Piero Carnesecchi, dieser Florentiner aus edelstem Geblüt, den Papst Clemens unter
seiner Gnaden Fülle schier erdrückt, den er zum Tischgenossen und zum vertrautesten
Freunde erhoben, den er endlich mit dem eigenen Namen beschenkt hatte, so daß er
nunmehr Pietro Medici de' Carnesecchi hieß, er stand, als Vasari die Fresken der sala
di Clemente VII. malte, bei vielen gut katholischen Christen im Gerüche arger Ketzerei,
und wehe dem Prälaten, dem es beigekommen wäre, mit freundlichen Worten im
Vatikan seiner zu gedenken. Und doch hatten dort, so lange Clemens herrschte, die
ältesten Würdenträger um sein, des Jüngsten Wohlwollen geworben, dem alle Welt
eine Zukunft voll Macht und Herrlichkeit prophezeite. Als ihm jedoch anno 1534 der
Tod seinen Gönner Clemens raubte, begab sich der kaum sechsundzwanzigjährige Piero
sofort aller Politik und zog, Freunde und Feinde in Erstaunen setzend, die ämterlose Behag-
lichkeit eines stillen Gelehrtendaseins dem nervenaufreibenden Wettstreit um die Gunst
des neuen Papstes vor. Schüchternen Wesens und lärmendem Prunk abhold, kostete
es ihn keinen Kampf, von Rang und Einfluß Abschied zu nehmen. Er wandte sich
zuerst nach seiner Heimat Florenz, wo ihm der Vater noch lebte, und späterhin nach
Neapel; dort wurde er bald ein werktätiges Mitglied jener in Rom mehr als unbeliebten
Gruppe von Reformkatholiken, die in Juan de Valdes ihr Haupt verehrte und zu der,
neben ihrer Schwägerin Vittoria Colonna, auch jene von Ippolito de' Medici einstens
hoffnungslos umworbene Giulia Gonzaga gehörte, mit der Piero bald eine mönchisch-
unsinnliche, allem Begehren entrückte Liebe verband. Wieder in Florenz, ließ er sich
von Bernardino Ochino mit Luthers Meinungen vertraut machen, was einem Zu-ihnen-
sich-Bekehren ziemlich nahe kam, und da er besorgte, um solcher Studien willen in dem
glaubensstrengen Florenz Cosimos I. mißliebig zu werden, übersiedelte er nach Venedig,
weil die Serenissima, als einzige der Regierungen Italiens, Fremden gegenüber sich
niemals zum Büttel der eben neu organisierten Inquisitation hergab. Die freilich hatte
Pieros Tun lange schon wachsamen Blickes verfolgt und bereits im Jahre 1546 wurde
ihm eine der Form nach allerdings noch höfliche Aufforderung zugestellt, er möge vor
dem heiligen Officium in Rom erscheinen, um über sein Tun und Lassen Rechenschaft
abzulegen. Piero gehorchte und nach monatelangem Hin und Her endete die ganze
Angelegenheit ohne eigentliche Entscheidung. Gleichwohl schien es Piero rätlich, aus
9 Vasari: „Le vite etc." ed. Milanesi. Vol. VIII. p. 167 (Giornata seconda. Ragionamento
quarto). P.: „il giovane non la ritrovo." V.: „Vostra Eccellenza non s'affatichi, perdie e M.
Piero Carnesecchi, segretario giä di Clemente, ehe allora fu ritratto quando era giovanetto, ed io
dal ritratto l'ho messo in opera ..."
Monatshefte für Kunstwissenschaft
dieser Versammlung der Graubärte ausnimmt. „Es ist Messer Piero Carnesecchi, der
voreinstens Sekretär des Papstes war" — bedeutet Vasari, den Fragenden — „damals,
in seiner Jugend wurde er gemalt und ich habe jenes Bildnis für meine Arbeit
benutzt"1)... Wie Cosimo diese Erklärung aufnahm, hat uns Vasari leider nicht über-
liefert. Vielleicht, daß er seinem Giorgio einen Schritt vom Wege des getreuen Chronisten
verziehen und auf das Porträt Messer Pieros in dieser Umgebung gern verzichtet
hätte; vielleicht aber blickte er auch nachdenklich zu dem gemmenhaft feingeschnittenem
Jünglingsantlitz empor und sann mit ernstem Lächeln den seltsam verschlungenen
Wegen nach, auf denen das Schicksal die Menschen ihrer Bestimmung zuführt. Denn
Piero Carnesecchi, dieser Florentiner aus edelstem Geblüt, den Papst Clemens unter
seiner Gnaden Fülle schier erdrückt, den er zum Tischgenossen und zum vertrautesten
Freunde erhoben, den er endlich mit dem eigenen Namen beschenkt hatte, so daß er
nunmehr Pietro Medici de' Carnesecchi hieß, er stand, als Vasari die Fresken der sala
di Clemente VII. malte, bei vielen gut katholischen Christen im Gerüche arger Ketzerei,
und wehe dem Prälaten, dem es beigekommen wäre, mit freundlichen Worten im
Vatikan seiner zu gedenken. Und doch hatten dort, so lange Clemens herrschte, die
ältesten Würdenträger um sein, des Jüngsten Wohlwollen geworben, dem alle Welt
eine Zukunft voll Macht und Herrlichkeit prophezeite. Als ihm jedoch anno 1534 der
Tod seinen Gönner Clemens raubte, begab sich der kaum sechsundzwanzigjährige Piero
sofort aller Politik und zog, Freunde und Feinde in Erstaunen setzend, die ämterlose Behag-
lichkeit eines stillen Gelehrtendaseins dem nervenaufreibenden Wettstreit um die Gunst
des neuen Papstes vor. Schüchternen Wesens und lärmendem Prunk abhold, kostete
es ihn keinen Kampf, von Rang und Einfluß Abschied zu nehmen. Er wandte sich
zuerst nach seiner Heimat Florenz, wo ihm der Vater noch lebte, und späterhin nach
Neapel; dort wurde er bald ein werktätiges Mitglied jener in Rom mehr als unbeliebten
Gruppe von Reformkatholiken, die in Juan de Valdes ihr Haupt verehrte und zu der,
neben ihrer Schwägerin Vittoria Colonna, auch jene von Ippolito de' Medici einstens
hoffnungslos umworbene Giulia Gonzaga gehörte, mit der Piero bald eine mönchisch-
unsinnliche, allem Begehren entrückte Liebe verband. Wieder in Florenz, ließ er sich
von Bernardino Ochino mit Luthers Meinungen vertraut machen, was einem Zu-ihnen-
sich-Bekehren ziemlich nahe kam, und da er besorgte, um solcher Studien willen in dem
glaubensstrengen Florenz Cosimos I. mißliebig zu werden, übersiedelte er nach Venedig,
weil die Serenissima, als einzige der Regierungen Italiens, Fremden gegenüber sich
niemals zum Büttel der eben neu organisierten Inquisitation hergab. Die freilich hatte
Pieros Tun lange schon wachsamen Blickes verfolgt und bereits im Jahre 1546 wurde
ihm eine der Form nach allerdings noch höfliche Aufforderung zugestellt, er möge vor
dem heiligen Officium in Rom erscheinen, um über sein Tun und Lassen Rechenschaft
abzulegen. Piero gehorchte und nach monatelangem Hin und Her endete die ganze
Angelegenheit ohne eigentliche Entscheidung. Gleichwohl schien es Piero rätlich, aus
9 Vasari: „Le vite etc." ed. Milanesi. Vol. VIII. p. 167 (Giornata seconda. Ragionamento
quarto). P.: „il giovane non la ritrovo." V.: „Vostra Eccellenza non s'affatichi, perdie e M.
Piero Carnesecchi, segretario giä di Clemente, ehe allora fu ritratto quando era giovanetto, ed io
dal ritratto l'ho messo in opera ..."