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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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412

Monatshefte für Kunstwissenschaft

Puligos Bilde zu erhellen scheint, kein anderer als Messer Pietro Carnesecchi: die
Farbe der dunklen Augen, der Ton der mattblonden Haare, der breite Rücken der
leicht gebogenen Nase, das flache ein wenig zurücktretende Kinn, der starke, aber
etwas kurze Hals, das mädchenhaft feine Oval der rechten Wange, die leise auf-
geworfenen Lippen — all' dies gleicht in beiden Bildnissen einander so vollkommen,
daß man getrost aus diesen vielen Übereinstimmungen schließen darf, Puligo und
Andrea del Sarto haben das nämliche Modell porträtiert. Freilich, „si duo idem
faciunt" .... Andrea besaß eine Feinfühligkeit in seelischen Dingen, die man bei
dem stumpfen Domenico vergeblich suchen würde, die feminine Schönheit Pieros kam
seiner eigenen Art entgegen, und da ein gelungenes Porträt Carnesecchis den Maler
gewiß beim Papst Clemens empfahl, so hat Andrea mit dem ganzen Aufgebot seines
Könnens ein Bildnis geschaffen, dem sich in grandioser Conception und Meisterschaft
der Durchführung nur wenige zur Seite stellen dürfen: Andrea läßt den Körper
Pieros eine leise Wendung machen, sein Antlitz hingegen bleibt groß und ruhig
dem Beschauer zugekehrt und dieses ernste Vor-sich-Hinblicken verleiht dem Bilde
eine tragische Hoheit, die wir, das totgeweihte Haupt betrachtend, wie einen Ausfluß
göttlicher Sehergabe Andreas empfinden. Nordisch versonnen blicken Pieros Augen,
leise Schwermut ist um seine Lippen und wir glauben es diesem Verwandten von
Shakespeares Dänenprinzen, daß er sich im bunten Treiben des Fürstenhofes einsam
und nur in selbstgezimmerter Traumwelt heimisch dünkte. Seine Hände, ganz durch-
geistigt und bleich, wie oft die Hände bei den letzten Sprossen alter Geschlechter,
halten die sorgsam gefalteten Handschuhe. Eine Nebensächlichkeit, die aber doch,
wenngleich erst in zweiter und dritter Linie, für die Identität ihres Besitzers mit Pietro
Carnesecchi spricht. Denn niemals zeigte er sich anders vor der Öffentlichkeit und
selbst, als er sich zum letzten furchtbaren Gang rüstete, hielt seine Rechte in den
bebenden Fingern keine Bibel, nicht den Crucifixus, wohl aber die sorgsam gefalteten
Handschuhe .
 
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