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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 445
volles geschaffen. Zum Besten gehört der Entwurf eines Biedermeier-Interieurs 4) (Abb. S.441).
Das Blatt ist in seiner Anspruchslosigkeit von intimem Reiz: kühles Tageslicht fällt,
durch einen Vorhang gedämpft, in den kleinen Raum, es wird zurückgeworfen von
reinlichen Steinfliesen und hellen Wänden. Eine von Pilastern eingerahmte Wandnische
nimmt das Sofa auf, vor dem ein runder dreibeiniger Tisch steht, ein Kachelofen mit
„antiker" Bekrönung, ein Sekretär, ein Tafelklavier, ein paar Stühle mit altväterisch
zurückgebogenen Lehnen machen den Raum behaglich. Die treffliche perspektivische
Konstruktion des Raumes, die einer mathematischen Prüfung Stand hält, ordnet sich
ganz dem künstlerischen Zweck unter.
Von den figürlichen Entwürfen Blechens ragt der Entwurf zu einem Theater-
vorhang mit drei Musen 2) durch die Geschlossenheit der Komposition hervor, die
Zeichnung eines gepanzerten, weit ausschreitenden Ritters 8) erhebt sich zu monu-
mentaler Größe (Abb. S. 442). Eine Vorahnung Hodlers.
Etwa gleichzeitig mit der Skizze des Ritters mag ein Entwurf Blechens für ein
Denkmal 4) entstanden sein, dessen Sockel die Jahreszahl 1825 trägt5). Die Skizze
zeigt den Erdball zwischen zwei weinenden Frauen in antiken Gewändern, in einer er-
weiterten Fassung (Abb. S. 444) umgeben fünf klagende Frauen die Erdkugel. Der Sinn
der Darstellung ist nicht ganz klar. Es liegt nahe, in ihr eine künstlerische Huldigung
an die Helden des griechischen Freiheitskrieges 6) zu vermuten, der damals die ganze ge-
sittete Welt zur Begeisterung für das mutige Griechenvolk hinriß, aber der Deutung
im einzelnen stehen Schwierigkeiten im Wege 7). Die formale Lösung der Aufgabe
macht Blechens architektonischem Sinn alle Ehre. Der Rhythmus der Komposition, die
Anmut der Verhältnisse und Linien durften den Neid selbst der Bildhauer vom
Fach erregen.
') Nat.-Galerie.
2) Melpomene, Polyhymnia, die dritte vermutlich Thalia. In der Nat.-Galerie.
§ Daselbst.
4) National-Galerie, Handzeichnungenkatalog Nr. 155, daselbst angeführt als „Grabdenkmal".
5) Schwer leserlich, wurde von Dr. B. Schröder, Berlin, entziffert.
6) In das Jahr 1825 (auf den 1. Dezember) fällt der Tod Alexanders von Rußland, der
den Griechen Rettung brachte. Belagerung Missolonghis Mai 1825 bis April 1826.
7) Wenn die fünf Frauen (nicht vier, wie im Katalog der National-Galerie angegeben) die
fünf Erdteile darstellen, so fragt sich, wer, bzw. was unter den beiden Frauen des anderen
Entwurfes zu verstehen ist. Eine dekorative Skizze in Öl (Nat.-Gal., angeführt im Hand-
zeichnungs Katalog unter Nr. 223 als „Grabdenkmal im Gestrüpp") gibt das Denkmal in ver-
schwommenen Umrissen wieder.
(Fortsetzung folgt im nächsten Hefte.)
 
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