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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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572 Monatshefte für Kunstwissenschaft

rücken angrenzenden Stirnbeines sowie des
unteren Augenlides gewinnt der obere Teil des
Gesichtes ein starkes individuelles Gepräge. Die
kleinen Tränensäckchen unter den Augen, die
sich in gleicher Weise bei fast allen Skulpturen
des Domaltares wiederholen, tragen nicht wenig
dazu bei. Auch der untere Teil des Gesichtes
hat solche in der Eigenart des Künstlers moti-
vierte. prägnante Merkmale. Der schmallippige
in den Mundwinkeln ein wenig zum Lächeln
eingezogene Mund, das spitzige, vorspringende
Kinn mit dem den Ansatz eines Doppelkinnes
verratenden Übergang zum Halse und der form-
lose, plumpe Hals.
Die Locken des Haares fallen in regelmäßigen,
ziemlich tief eingeschnittenen Wellenlinien herab.
Starke Spuren alter Vergoldung haben sich hier,
gerade in den tiefen Rillen, die die einzelnen
Locken von einander trennen, erhalten.
Leider ist der Kopf ein wenig beschädigt.
Auf der Stirn hat einstmals jemand in roher
Weise ein Kreuz einzumeißeln versucht. Die
Nasenspitze, ein Teil der Unterlippe und des
Kinnes ist abgeschlagen.
Trotzdem wurde der Kopf vom Kölner Kunst-
gewerbe Museum neu erworben. Denn daß es
sich um ein Werk des Meisters der Domaltar-
skulpturen handelt ist evident. Alle charakte-
ristischen Merkmale des Kopfes nämlich, die
quadratischen Proportionen, die eigenwillige Be-
handlung der Augenpartien, des Mundes und
Kinnes, der plumpe Hals kehren bei den Heiligen
des Altares aufs genaueste wieder (vergl. Abb. 3).
Auch die stoffliche Behandlung des Kopftuches,
das wahrscheinlich kapuzenartig vom Mantel
aus über den Kopf gezogen war, wodurch auch
der schwere Stoff gerechtfertigt erscheint, ist
ganz verwandt (Abb. 3 u. 4). Dabei entspricht
die Faltengebung auf die man allerdings nur
aus den spärlichen Beispielen am Kopftuch
schließen kann, durchaus dem Formgefühl dieses
Meisters, der in großen Zügen wenige, aber
vollkommen klar durchgearbeitete Motive zu
geben pflegt. Auch zeigt sich eine gleiche Art
der technischen Bearbeitung des Steines, die bei
den Locken des Haares in beiden Fällen fast
identisch ist (Abb. 3). Hinzu kommt noch, daß
die Reste der Vergoldung, die sich im Haar
finden, auf ein und dasselbe Verfahren der Arbeit
sowie auf ein und denselben künstlerischen
Geschmack hinweisen. Als Beispiel mag eine
Figur der Sammlung Schnütgen dienen ?. Es ist

9 Vgl. Schnütgen, Zeitschrift f. christl. Kunst. 1909.
H. 1 u. 2. Dort auch Abb. Taf. 1. Schnütgen weist auf
eine Figur der Dreikönigengruppe, die sich in seiner Samm-
lung befindet hin, deren formaler Charakter vollkommen
der des Madonnenkopfes entsprechen soll.

ein Prophet, dessen Kopf- und Barthaar erheb-
liche Spuren der ursprünglichen, partiellen Ver-
goldung zeigt, genau in der Art wie der Kopf
der Madonna.
Da die noch erhaltenen 28 Figuren des Dom-
altares, die alle aus einer Werkstatt stammen,
unterschiedliche Formcharaktere aufweisen, ist
es notwendig, die Gruppe näher abzugrenzen,
zu der der Kopf gehört. Für die Domskulpturen
sind sicherlich zwei, wenn nicht gar drei ver-
schiedene Hände in Anspruch zu nehmen. Der
Meister der künstlerisch bedeutendsten Arbeiten
ist auch der Meister des Madonnenkopfes. Nach
der im Mittelalter üblichen Schaffensart scheint
er der führende Meister der Werkstatt gewesen
zu sein.
Es ist anzunehmen, daß er, nachdem ihm
der Auftrag zu Teil geworden ist, mit der Arbeit
begonnen hat. Soviel sich aus der formalen
Entwicklung, wie sie in den 28 Skulpturen zu
verfolgen ist, herauslesen läßt, sind die frühesten
Arbeiten zugleich die künstlerisch ausgegliclien-
sten. Drei Arbeiten sind noch vollkommen
durch den Charakter der Frühgotik bestimmt,
Als prägnannte Beispiele dieser Gruppe weise
ich auf eine Heilige ohne Attribut, und eine
hl. Dorothea des Wallraf-Richartz Museums hin
(Abb. 3), dann auf die Figur aus der Dreikönig-
gruppe der Sammlung Schnütgen und zuletzt
auf den Madonnenkopf des Kölner Kunstgewerbe
Museums (Abb. 1).
Die Gestalten dieses Meisters sind noch von
geringer Körperlichkeit, die Körperformen sym-
bolisieren sich in der Hauptsache in den Gewand-
falten. Die Bewegung der Figuren ist im Kontra-
post übertrieben, weil sie anatomisch durchaus
unverstanden ist. Die Gliedmaßen, Arme und
Hände sind eng an den Körper gepreßt; sie sind
noch in die Blockform des Steines hineinge-
zwungen. An Bewegungsfähigkeit der Glieder
dachte der Künstler noch nicht.
Trotzdem geht ein großer, einheitlicher Zug
durch diese Arbeiten; denn alles kleinliche Detail
ist vermieden. Ein einziges festumgrenztes Ziel
schwebte dem Meister vor: durch die Reinheit
einer auf Naturalismus verzichtenden Formen-
gebung die höchste Innerlichkeit des Ausdruckes
zu erreichen. Hier spricht noch die Kunstauf-
fassung der Frühgotik, die die körperlichen
Formen nur darstellt, um sie als Symbole eines
Gedankens oder Gefühles zu benutzen.
Anders die zweite Gruppe (Abb. 2 u. 4). In
ihr beginnt sich schon das naturalistische Streben,
das zur Plastik der Spätgotik führt, schüchtern
anzukündigen. Die Funktionen des Körpers
kommen in ihren charakteristischen Bewegungs-
tätigkeiten stärker zum Ausdruck. Dadurch ge-
 
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