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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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REZENSIONEN .
PAUL BUBERL, Die romanischen
Wandmalereien im Kloster Nonn-
berg in Salzburg. Sonderabdruck aus
dem Kunstgeschichtlichen Jahrbuch der
k. k. Zentral-Kommission für Kunst- und
histor. Denkmale 1909, in Kommission
bei Anton Schroll & Co., Wien 1910. —
Quart, 74 S., XIV Tafeln, 37 Abb. im
Text. Preis 12 Kr.
Jede Publizierung mittelalterlicher Wandgemälde
bedeutet heute ein Verdienst. Nicht oft genug
können wir an die Existenz der monumentalen
Malerei im Mittelalter erinnert werden, jeder ihrer
Reste ist heilig und verlangt, mehr als die in
unseren Bibliotheken wohlverwahrten Handschriften
der Vergänglichkeit preisgegeben, sorgfältige Auf-
nahme und Erhaltung wenigstens im Bilde. Was
unter den schwierigen lokalen Bedingungen in
der dunklen Turmhalle von Nonnberg geleistet
werden konnte, ist geschehen; der Photograph hat
alles aus den Fresken herausgeholt, die Repro-
duktionen sind mustergültig. Und mustergültig
ist der begleitende Text. Die Beschreibung der
Wandgemälde ist absolut erschöpfend. Was „das
liebevoll suchende Auge" nur irgend hat entdecken
können, ist hier verzeichnet. Bei dem besonders
günstigen Umstand, daß die einzelnen Stücke in
verschiedenen Graden der Erhaltung vor uns stehen,
erweitert sich die Beschreibung zu einer Darstellung
der mittelalterlichen Freskotechnik. Wir sehen,
wie auf eine erste Vorzeichnung der Auftrag der
Grundfarben in großen Flächen folgt, gelb für das
Fleisch, die betreffenden Lokaltöne für die Ge-
wänder, wie dann die wichtigsten Linienzüge in
kräftigem Braun untermalt und darauf die letzten
farbigen Schatten und die breiten weißen Lichter
als Lasuren aufgetragen werden. Der Nachweis,
daß sich der technische Befund mit den Vorschriften
der Schedula des Theophilus bis ins einzelne deckt,
ist von großem Wert für unser Urteil über diesen
Traktat. Besonders interessant ist die Feststellung
durchwaltender Proportionsgesetze in den Köpfen.
Höhen- und Breitenmaße der Gesichter und ihrer
einzelnen Teile stehen in einem ganz bestimmten
Verhältnis. Das hat B. nicht nur herausgerechnet,
er hat auch noch die Reste von Konstruktions-
linien in einem stark abgeriebenen Kopf entdeckt.
Mit vollem Recht führt er auf diese Proportionen
den bestimmenden Eindruck der Feierlichkeit bei
den heiligen Männern zurück. Weniger glücklich
scheint mir die Formulierung des malerischen Stils

zu sein. Das Verhältnis von Licht und Schatten
ist kein so freies wie behauptet wird. Daß die
Glanzlichter über Stirn und Nase „hingleiten" und
über die Fingerglieder „tanzen", kann angesichts
der Detailaufnahmen nicht zugegeben werden.
Vielmehr fällt die fast ornamentale Behandlung der
Lichter auf; B. spricht an anderer Stelle selbst
davon, daß in den Wandbildern „die Farben sich
scheiden, die weißen Lichter zu Strichen sich ver-
dichten." Dies steht im Widerspruch zu der „der
Natur möglichst nahekommenden Wiedergabe der
Formen" in der Zeichnung. Sollte dieser Wider-
spruch auf verschiedene Wurzeln der Stilbildung
schließen lassen?
Buberl ist den Quellen des Stils mit allem Ernst
nachgegangen. Es ist das um so verdienstvoller,
als es sich hier wieder einmal um die „byzanti-
nische Frage" handelt, auf deren grundsätzliche
Lösung nur zu hoffen ist, wenn sie in jedem Einzel-
fall ganz scharf präzisiert wird. An welche be-
stimmten Denkmäler der byzantinischen Kunst
knüpft der zu untersuchende Stil an, wie weit
erstreckt sich die Abhängigkeit, auf welchem Wege
kann die Übertragung stattgefunden haben? Diese
drei Kardinalfragen sucht B. zu beantworten, nach-
dem er durch Vergleich mit der salzburgischen
Miniaturmalerei und auf Grund der sehr eingehend
behandelten Baugeschichte von Salzburg die Ent-
stehungszeit der Fresken auf circa 1145 festgestellt
hat. — Die byzantinischen Parallelen findet er in
Werken der monumentalen Malerei bzw. Mosaik-
kunst des XI. und XII. Jahrhunderts: Daphni,
Hosios Lukas, Cefalü. Dort haben wir die Fron-
talität der Figuren, für deren Einordnung in Nischen
die beiden griechischen Klosterkirchen besondere
Analogien bieten, dort die in Salzburg festgestellten
Proportionen, die gleiche Lichtbehandlung, ver-
wandte Formen der einzelnen Gesichtsteile und
des Bartes, ähnliche Stoffmuster. Aber bei aller
Anlehnung im einzelnen betont B. einen anderen
Geist, eine Umstilisierung in das Abendländische.
Worin sie besteht, sagt B. nicht, auch nicht bei
der Besprechung der byzantinisierenden Salzburger
Miniaturen, deren Stil er ebenfalls als „Vereinigung
abendländischen Geistes und griechischer Kunst"
charakterisiert. Aber er gibt einen Fingerzeig,
wenn er die große Tatsache feststellt, daß dieser
byzantinisierende Stil langsam hinübergleitet in
die Gothik. Da ist es. Das gothische Wesen,
das latent in aller romanischen Kunst enthalten
ist, bildet die zweite Komponente des Salzburgi-
schen Stils. Ausdruck und Bewegung, in linearem

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