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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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modelt. Ihre Kraft wird besonders fühlbar, wenn
man die unmittelbare Quelle des byzantinischen
Stils bei dem Salzburger mit B. in Venedig an-
nimmt und nachzuempfinden sucht, was es heißt,
den schweren Typen der Vorlagen nach Art der
Gestalten in der Ost- und Westkuppel von S. Marco
den persönlichen Stempel aufzuprägen.
Vitzthum.
ARCHITEKTONISCHE HANDZEICH-
NUNGEN ALTER MEISTER. Heraus-
gegeben von Architekt Dr. Hermann
Egger. Erster Band. I. Lieferung.
20 Tafeln in Lichtdruck mit kritischem
Text. Friedr. Wolfram & Co. Wien und
Leipzig 1910.
Wie allgemein das Studium der Handzeichnungen
heute als eins unserer wichtigsten Hilfsmittel an-
erkannt wird, historische Beziehungen nachzu-
weisen und künstlerische Werte und Urheber-
schaften festzustellen, beweist die stattliche Zahl
von Handzeichnungspublikationen, die bald das
Oeuvre eines großen Meisters, bald den Besitz
bestimmter Sammlungen oder Sammler umfassen.
Und diese durchgängig sehr kostbaren Werke er-
scheinen nicht nur, sondern sie werden auch eifrig
gekauft. Von den fünf Lieferungen der Vasari-
Society sind zwei bereits vergriffen; vergriffen ist
auch schon nach einem Jahr die erste Lieferung
der Zeiehnungen alter Meister, welche die Biblio-
theque d'Art et d'archeologie in Paris herausgibt.
Persönliche oder räumliche Zusammenhänge
also bestimmten die Anlage früherer Publikationen.
Den Gedanken eine große Sammlung von Zeich-
nungen nach sachlichen Gesichtspunkten zusammen-
zufassen, hat zuerst Heinrich von Geymüller ver-
wirklichen wollen. Wiederholt hat er den Plan
ausgesprochen, den Hermann Egger heute zur
Tat werden läßt, ein Korpus architektonischer Hand-
zeichnungen herauszugeben. Die architektonischen
Handzeichnungen alter Meister sollen in Lieferungen
ä 20 Tafeln erscheinen. Drei Lieferungen werden
einen Band umfassen. Die Anzahl der Bände, die
herausgegeben werden, wird wohl der Erfolg be-
stimmen, der dem Unternehmen im höchsten Maße
zu wünschen ist.
Die erste Lieferung, die soeben erschienen ist,
erfüllt jegliche Erwartung. Die Tafeln in Lichtdruck
auf dunklem Karton erwecken die Vorstellung des
Originals. Sie bringen zunächst nur Schätze der
Wiener Sammlungen deutscher, französischer und
italienischer Meister. Man staunt immer wieder,

wenn man diese Blätter betrachtet über das Können
und über den Fleiß dieser Meister. Wenn Hans
Böblinger im Jahre 1501 die Spitalskirche zu
Eßlingen zeichnet, so offenbart er sich ebensosehr
als Künstler, als wenn Hubert Robert uns fast
dreihundert Jahre später einen antikisierenden Mo-
numentalbau vorführt, in dem er — man möchte
sagen — alle seine römischen Eindrücke und Er-
innerungen zusammengefaßt hat. Von besonderer
Wichtigkeit sind in dieser Lieferung die römischen
Zeichnungen. Auf diesem Gebiete ist Egger ja
zu Hause wie kein anderer. Das hat er in der
mustergültigen Ausgabe des Codex Escurialensis
bewiesen. Martino Lunghi, Giovanni Alberti,
Giuseppe Bibiena Galli, Girolamo Rainaldi sind mit
höchst charakteristischen Zeichnungen vertreten.
Zu des Verfassers Spürsinn und Forschungseifer
gesellt sich zuweilen auch das Glück. Die prächtige
Studie Berninis für das Bronzetabernakel in St.
Peter ist eine Entdeckung, schon deshalb merk-
würdig, weil uns bisher nichts von Berninis Hand
bekannt war, was sich auf dies berühmte Werk
bezog. Das Blatt teils mit der Feder, teils in
Rötel ausgeführt, ist mit grandioser Sicherheit hin-
geworfen. Man meint vor allen in der Rötel-
skizze, der Genius Michelangelos habe hier Bernini
den Stift geführt. Auf Tafel 17 finden wir den
Entwurf für die Dekoration eines Kreuzgewölbes
in S. Maria Maggiore abgebildet. Eine Wappen-
skizze mit sechs Pinienäpfel führte Egger auf die
Spur des Kardinals D. Pinelli, Arciprete von
S. Maria Maggiore. Und dort findet sich auch
wirklich noch das Kreuzgewölbe, für welches diese
Zeichnung bestimmt war.
Eggers Bemerkungen zu jedem Blatt sind knapp
und klar und wohl in den meisten Fällen er-
schöpfend. Dem Geburts- und Todesjahr der Künst-
ler wäre wohl auch die örtliche Bestimmung hin-
zuzufügen. Schopenhauer unterscheidet Leute, die
für die Wissenschaft leben und Leute die von
Wissenschaft leben. Natürlich gibt es keinen
Kunsthistoriker, der nicht das Recht zu haben
glaubt, sich zur ersten Kategorie zu zählen, schon
deshalb weil die zweite überhaupt nur beim Ver-
leger nicht beim Autor denkbar ist. Was Egger
bisher geleistet hat berechtigt aber auch andere,
ihm zu bestätigen, daß er für die Wissenschaft
lebt und arbeitet. Und von solcher Gesinnung
redet auch die vorliegende Publikation.
E. Steinmann.

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