die beinahe nur das Ölgemälde, das fertig gemachte Leinwandbild, für Kunst aus-
zugeben geneigt war. Er war ja nur ein Zeichner, oder wie es der alte Schadow
in seiner heimtückischen Weise ausdrückte, ein „Skizzist“ x). Richtig: er konnte
nicht malen wie die flinken Pinselhelden seiner Zeit. Aber eine gerechtere Er-
kenntnis des ungeheuren Kunstgebietes hat uns gelehrt, daß es verkehrt sei, die
Forderung des Malerischen als etwas Absolutes aufzustellen, sonderlich in der
deutschen Kunst. Grünewald konnte malen, aber Dürer nicht: und er wird mit
Recht als der größte Zeichner und ein deutsches Genie zugleich betrachtet. Callot,
einer jener Lothringer, die germanische Seele mit französischer Gewandtheit ver-
einen, hat anscheinend überhaupt nie einen Pinsel angerührt. Betrachtet man die
Kunst als einen fortgesetzten Schöpfungsakt, von der Materie auf geistige Gebiete
übertragen, so ist es gleichgültig, ob ein Genie sich des Marmors, der Ölfarbe oder
des Rötels bedient. Sind seine Zeichnungen der Ausdruck seiner erhabenen Gesichte,
so vermag die Gebrechlichkeit der Materialien ihnen keinen Deut ihrer Ewigkeits-
werte zu rauben. Wie armselig nimmt sich die prunkvollste und geschickteste
Malerei Fügers aus neben einer bloßen Gewandstudie von Carstens: Das macht,
bei jenem jongliert erlernte Kunstfertigkeit mit seelenlosen Formeln verlogener
„Schönheit“; aus Carstens Blättern aber spricht tiefstes Erleben der Welt, spricht
angeborenes Genie und göttliche Schöpferkraft; und seine Gestalten haben das
unsterbliche Leben, das Homer und Michelangelo den ihrigen verliehen haben —
auch in schlichter Rötelzeichnung.
Es ist nicht müßig, auf diesen Punkt in einer Zeit hinzudeuten, die sich auf das
Recht ihrer Nationalität besinnt. Nimmt man wenige Meister von überlegenem
Genie aus, so zeigt uns die Kunstentwicklung mit voller Deutlichkeit, daß die
deutsche Begabung auf dem Gebiet der Zeichnung liegt, und daß ihre Malerei den
Charakter eines reinfarbigen Kolorismus trägt. Vielleicht ist Grünewald der einzige
Deutsche bis Runge, der malerische Probleme gesucht und bewältigt hat. Ja die
innere Zugehörigkeit der Niederlande zur deutschen Kultur offenbart sich bis ins
16. Jahrhundert hinein, als eine wesensgleiche mit Führerqualitäten: die Trennung
erfolgt in der Zeit ihres Befreiungskampfes, und Breughel ist der Bahnbrecher zu
neuer Art der Darstellung, wiewohl noch mit vielen Erinnerungen an Deutsches
beladen. Die zeichnerisch-koloristische Tradition wird noch von den Besten im
17. Jahrhundert aufrecht erhalten: Flegel, Elsheimer, Ruthardt; ja sie erlischt auch
im 18. Jahrhundert nicht ganz. Aber die große historische Sendung von Carstens
ist es, die deutsche Kunst, versunken in völlige Anarchie von internationalem Zu-
schnitt, zur Selbstbesinnung zu führen; sie zu erlösen von dem falschen Ideal des
Pseudoklassizismus und der vergeblichen Bemühung um malerische Kultur, welche
sie nur um den Preis ihrer Unterordnung unter das Ausland hatte eintauschen
können; ihr den Mut zur eigenen Seele, zu nationalem Charakter wiederzugeben.
Das große Problem der deutschen Kunst ist nach einem kurzen glänzenden
Anlauf zwischen 1770 und 1820 wieder zurückgetreten hinter der alten Nach-
ahmung fremder unziemlicher Muster; erst waren es Raffael, dann die Belgier und
Franzosen, zuletzt der internationale Impressionismus. Um so wertvoller erscheint
(1) Gottfr. Schadow, Kunstwerke und Kunstansichten, S. io, 14: „Carstens, der mit Recht berühmte
Skizzierer, würde nie eine fertige Hand oder Porträt zustande gebracht haben. Wer mit Ausdauer
eine Statue oder Gruppe vollendet, von dem Scheitel bis zu den Zehen, übereinstimmend in allen
Teilen, sieht mit einiger Geringschätzung auf jene Skizzen von Piedro Testa, La Fage, Salvator
Rosa (!), Flaxmann u. a., welche Beläge geben zu dem Gesagten. Die Zeitgenossen werden nicht
genannt.“ Dieser Schulmeisterton scheint uns noch unleidlicher als der Goethes.
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zugeben geneigt war. Er war ja nur ein Zeichner, oder wie es der alte Schadow
in seiner heimtückischen Weise ausdrückte, ein „Skizzist“ x). Richtig: er konnte
nicht malen wie die flinken Pinselhelden seiner Zeit. Aber eine gerechtere Er-
kenntnis des ungeheuren Kunstgebietes hat uns gelehrt, daß es verkehrt sei, die
Forderung des Malerischen als etwas Absolutes aufzustellen, sonderlich in der
deutschen Kunst. Grünewald konnte malen, aber Dürer nicht: und er wird mit
Recht als der größte Zeichner und ein deutsches Genie zugleich betrachtet. Callot,
einer jener Lothringer, die germanische Seele mit französischer Gewandtheit ver-
einen, hat anscheinend überhaupt nie einen Pinsel angerührt. Betrachtet man die
Kunst als einen fortgesetzten Schöpfungsakt, von der Materie auf geistige Gebiete
übertragen, so ist es gleichgültig, ob ein Genie sich des Marmors, der Ölfarbe oder
des Rötels bedient. Sind seine Zeichnungen der Ausdruck seiner erhabenen Gesichte,
so vermag die Gebrechlichkeit der Materialien ihnen keinen Deut ihrer Ewigkeits-
werte zu rauben. Wie armselig nimmt sich die prunkvollste und geschickteste
Malerei Fügers aus neben einer bloßen Gewandstudie von Carstens: Das macht,
bei jenem jongliert erlernte Kunstfertigkeit mit seelenlosen Formeln verlogener
„Schönheit“; aus Carstens Blättern aber spricht tiefstes Erleben der Welt, spricht
angeborenes Genie und göttliche Schöpferkraft; und seine Gestalten haben das
unsterbliche Leben, das Homer und Michelangelo den ihrigen verliehen haben —
auch in schlichter Rötelzeichnung.
Es ist nicht müßig, auf diesen Punkt in einer Zeit hinzudeuten, die sich auf das
Recht ihrer Nationalität besinnt. Nimmt man wenige Meister von überlegenem
Genie aus, so zeigt uns die Kunstentwicklung mit voller Deutlichkeit, daß die
deutsche Begabung auf dem Gebiet der Zeichnung liegt, und daß ihre Malerei den
Charakter eines reinfarbigen Kolorismus trägt. Vielleicht ist Grünewald der einzige
Deutsche bis Runge, der malerische Probleme gesucht und bewältigt hat. Ja die
innere Zugehörigkeit der Niederlande zur deutschen Kultur offenbart sich bis ins
16. Jahrhundert hinein, als eine wesensgleiche mit Führerqualitäten: die Trennung
erfolgt in der Zeit ihres Befreiungskampfes, und Breughel ist der Bahnbrecher zu
neuer Art der Darstellung, wiewohl noch mit vielen Erinnerungen an Deutsches
beladen. Die zeichnerisch-koloristische Tradition wird noch von den Besten im
17. Jahrhundert aufrecht erhalten: Flegel, Elsheimer, Ruthardt; ja sie erlischt auch
im 18. Jahrhundert nicht ganz. Aber die große historische Sendung von Carstens
ist es, die deutsche Kunst, versunken in völlige Anarchie von internationalem Zu-
schnitt, zur Selbstbesinnung zu führen; sie zu erlösen von dem falschen Ideal des
Pseudoklassizismus und der vergeblichen Bemühung um malerische Kultur, welche
sie nur um den Preis ihrer Unterordnung unter das Ausland hatte eintauschen
können; ihr den Mut zur eigenen Seele, zu nationalem Charakter wiederzugeben.
Das große Problem der deutschen Kunst ist nach einem kurzen glänzenden
Anlauf zwischen 1770 und 1820 wieder zurückgetreten hinter der alten Nach-
ahmung fremder unziemlicher Muster; erst waren es Raffael, dann die Belgier und
Franzosen, zuletzt der internationale Impressionismus. Um so wertvoller erscheint
(1) Gottfr. Schadow, Kunstwerke und Kunstansichten, S. io, 14: „Carstens, der mit Recht berühmte
Skizzierer, würde nie eine fertige Hand oder Porträt zustande gebracht haben. Wer mit Ausdauer
eine Statue oder Gruppe vollendet, von dem Scheitel bis zu den Zehen, übereinstimmend in allen
Teilen, sieht mit einiger Geringschätzung auf jene Skizzen von Piedro Testa, La Fage, Salvator
Rosa (!), Flaxmann u. a., welche Beläge geben zu dem Gesagten. Die Zeitgenossen werden nicht
genannt.“ Dieser Schulmeisterton scheint uns noch unleidlicher als der Goethes.
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