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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Schmidt, Paul Ferdinand: Jakob A. Carstens
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0211

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es, die Bestrebungen jener heroischen Generation um 1800 und die rasche Folge
ihres Werdeganges genau zu betrachten; am wertvollsten aber, die des Größten
unter ihnen, des wahrhaften Bahnbrechers kennen zu lernen, der uns lehren kann,
daß auch unter den ungünstigsten Umständen und in einer falsch orientierten Zeit
das Genie unbeirrt zu den Quellen deutscher Kunst und Empfindung vordringen
kann. Denn das ist das Merkwürdige an Carstens, daß er in dem Netz klassischer
Vorurteile gefangen blieb und doch ein rein deutscher Künstler wurde; daß sich
sein Genie verzehren mußte unter dem Druck, Unvereinbares zu vereinen: griechische
Form und germanische Mystik. Auf seine Schultern war eine ungeheure, fast un-
mögliche Aufgabe gelegt. Daß er sie nicht restlos lösen konnte, daß man sein
Werk aus edlen Bruchstücken sich zusammensetzen muß — ähnlich etwa wie
das des Lionardo — das liegt nicht an seinem Können, sondern an den Umständen
seines Lebens, die mit einer grausamen Unerbittlichkeit ihm keine Vollendung
erlaubten.
Sein Leben hat wenige Jahre nach seinem Tode Karl Ludwig Fernow beschrieben,
und diesem wundervollen Buche ist geistig kaum etwas hinzuzufügen; archivalische
Forschung hat später manche Einzelheiten seiner Jugendgeschichte berichtigt, das
Bild im ganzen nur vertiefen können1). Es wird immer eine der besten Biographien
bleiben; und eine schwere Anklage gegen die Zeit — nicht einzelne Menschen —,
welche diesem Genius die Freiheit zu schaffen versagte.
Jakob A. Carstens (sein Rufname war Jakob, nicht Asmus) wurde am 10. Mai 1754
in St. Jürgen bei Schleswig als Sohn eines Müllers geboren. Er erhielt einen sehr
mäßigen Unterricht in der Schleswiger Domschule2); seine Bildung ist deshalb im
wesentlichen als selbsterworben anzusehen. Nur gab ihm die Schule und später
die Kopenhagener Akademie die unabweisliche Richtung aufs Klassische; bis an
sein Lebensende las er fast ausschließlich griechische Dichter und Schriftsteller in
Übersetzungen. Die Ovensschen Bilder im Dom zu Schleswig, über deren starke
Wirkung er selbst so eindrucksvoll berichtet, vermittelten ihm lediglich die An-
schauung von Kunst schlechthin und erweckten den heißen, ehrfürchtigen Wunsch
in ihm, dereinst auch ein Maler wie dieser zu werden. Das war keine Jungens-
grille, sondern innere Berufung. Carstens hat niemals einen Augenblick an seinem
Künstlerberuf gezweifelt; mit der Kraft eines Naturelements brach sich sein Wille
Bahn durch alle niedrigen Schicksale. Maler zu werden war damals auch gar
nicht schwer für einen mittellosen Knaben. Er brauchte nur einem Meister in
die Lehre gegeben zu werden; Handwerk und Kunst bestanden noch friedlich mit-
einander3). Aber die Verhandlungen seiner Vormünder zerschlugen sich oder
scheiterten an seinem Stolz, die üblichen Demütigungen des Lehrburschen auf sich
(1) Die Hauptliteratur über Carstens: K. L. Fernow, Carstens’ Leben und Werke. Leipzig 1806,
2. Aufl. herausgegeben und ergänzt von H. Riegel, Hannover 1867 (zitiert: Riegel-Fernow). R. Schöne,
Beiträge zur Lebensgeschichte von Carstens, 1866 (urkundl. Material). F. von Alten, Versuch eines
Verzeichnisses der Werke Carstens’, 1866. Aug. Sach, A. J. Carstens’ Jugend und Lehrjahre nach
urkundl. Quellen, Halle 1881. Dohme, Kunst und Künstler, Abt. IV, Bd. I. H. Riegel, Carstensiana,
in Kunstgesch. Vorträge und Aufsätze, S. 180 (über strittige Zeichnungen).
(2) Vgl. Sach, S. 26 ff.
(3) Außer den Lebenserinnerungen Wilhelm Tischbeins (I, S. 15 f., 57ff.) sind hierfür besonders lehr-
reich die Biographien der Schweizer Maler in den Neujahrsstücken der Züricher Künstlergesellschaft,
z. B. Stück 25 (J. C. Huber), 5 (J. K. Küster), 19 (Heinrich Wüest). Am bekanntesten und meisten
geschildert ist der emsige Betrieb bei dem Frankfurter Nothnagel, der zwanzig (oder gar vierzig) Ge-
sellen beschäftigte. ·

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