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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Schubring, Paul: Francesco di Giorgio
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0093

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FRANCESCO DI GIORGIO
Mit sechzehn Abbildungen auf fünf Tafeln Von PAUL SCHUBRING
Francesco Maurizio di Giorgio Martino Pollaiolo ist neben Quercia die hervor-
ragendste Künstlerpersönlichkeit Sienas; kann er dem großen Steinbildner an
Wucht und Leidenschaftsfülle nicht verglichen werden, so hat er dafür universale
Begabung anzubieten, die ihn in die Nähe eines Leon Battista Alberti stellt. Schon
die Zeitgenossen staunten über seine Vielseitigkeit. Giovanni Santi lobt in der
Reimchronik den „mirabil architetto“, „sopra tutti gran compositore“, „alto dipen-
tore“, den „restaurator delle ruine antiche“; er preist seine „invention di belli istru-
menti“ und spricht ausdrücklich von „storie nel bronzo scolpite“, deren Modell
„in calda cera“ gearbeitet war. Die eigene Zeit hat in Francesco vor allem den
Ingenieur, Ballisten und Festungsbaumeister geschätzt; dieser Begabung wenigstens
verdankt er die vielen Berufungen, die ihn von Siena nach Urbino, nach Neapel
und Mailand wiederholt geführt haben. Ein Fürst neidet dem andern diesen kost-
baren Ballisten, dessen Name in ganz Italien populär wurde, als es ihm gelang,
die erste Pulvermine zu legen, durch die der Eintritt in das für uneinnehmbar
geltende, von den Franzosen besetzte Castello nuovo in Neapel erzwungen wurde.
Nach Stegmann hat Francesco innerhalb 30 Jahren nicht weniger als hundert be-
festigte Plätze, „rocche“, meist im Urbinatischen gelegen, umgebaut und armiert.
Zu der Praxis kommt bei ihm die Leidenschaft für die Theorie. Sein Traktat
„sopra l’architettura militare e civile“ ist neben Albertis und Filaretes Schriften die
früheste Zusammenfassung baumeisterlicher Gedanken über den Einzelbau und die
Stadtanlage. In immer erneuter Niederschrift und Verbesserung hat er, auf Vitruv
fußend und in steter Abhängigkeit von ihm, in fünf Büchern seine Ansichten zu-
sammengefaßt. Das letzte Buch behandelt rein fortifikatorische Probleme. Das
erste bespricht die Baumaterialien, vor allem die in der Nähe von Siena brechen-
den Steine. Im zweiten wird über die „palazzi pubblici“ nachgedacht; das dritte be-
spricht die Städteanlagen und behandelt die Säulenordnungen, die den menschlichen
Gliedern verglichen werden. Dabei fällt auch Astrologisches über den Beginn des
Hausbaues mit ab. Das vierte Buch endlich spricht von den Templi, den antiken
wie den christlichen. Der Traktat enthält viele Zeichnungen, namentlich nach
antiken, heute z. T. verlorenen Gebäuden. Eine derselben diente Hülsen dazu, den
einst bei S. Adriano am Forum gelegenen Janustempel zu rekonstruieren.1) — End-
lich sei noch der Wertschätzung gedacht, die Leonardo unserem Francesco ent-
gegenbrachte. Als 1490 in Mailand die Dombaumeister Omodeo und Dolcebuono
sich über den Bau des „Tiburtio“ nicht einigen konnten, wurde auf Leonardos
(vielleicht auch Bramantes?) Rat Francesco als magister tiburtii herbeigerufen;
Francesco ging dann mit Leonardo auch nach Pavia. Im Jahre darauf beteiligte
er sich an der von Lorenzo magnifico de’ Medici ausgeschriebenen Konkurrenz um
die Florentiner Domfassade. Der Bewerb hatte bekanntlich kein Ergebnis; Albertini
spottete weidlich über die Resultate.2) Am Ende eines vielbewegten Lebens wird
Francesco dann 1498 Dombaumeister seiner Vaterstadt. Man bedenke, daß er
1) Chr. Hülsen, Sopra un edifizio antico giä esistente presso la Chiesa di S. Adriano. Annali dell’
istituto di Corresp. archeol. 1884, S. 323 fr.
(2) Albertini schreibt 1510 an Baccio da Montelupo: A dirti la veritä decta facciata, la quäle Lorenzo
de’ Medici volea levare et riducerla a perfectione, mi pare senza ordine o misura e nanzi mi parto
di Fiorenza, ti mostrerö uno modello di mia fantasia a preposito, credo non ti dispiacerä.
Monatshefte für Kunstwissenschaft IX. Jahrg. 1916, Heft 3 7 8l
 
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