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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Schubring, Paul: Francesco di Giorgio
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0094

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nur fünf Jahre älter als Bramante war (freilich zwölf Jahre früher weggerafft wurde)
und daß er in Urbino, also in Lauranas Nähe, ein künstlerisches Leben erlebt hat,
das nicht nur die Traditionen seiner Sieneser Heimat, sondern auch die des
damaligen Florenz vielfach überboten hat.
Francesco ist 1439 als Sohn eines Geflügelhändlers in Siena geboren, 25 Jahre
nach seinem Lehrer Vecchietta, 14 Jahre vor seinem Schüler Cozzarelli und 8 Jahre
vor seinem Schwager Neroccio, mit dem er von 1469—75 ein gemeinsames Atelier
gehalten hat. In seine Jugend fällt Donatellos Aufenthalt in Siena (1457); und der
greise Plastiker, der damals nicht nur den laut rufenden Bußprediger für die Tauf-
kapelle des Domes goß, sondern auch die Modelle der Bronzetüren für denselben
Dom gemacht hat, hat nicht nur auf Vecchietta entscheidenden Einfluß aus-
ausgeübt, sondern sicher auch den damals 18jährigen Francesco beeindruckt. Leider
ist die 1464 bei Francesco bestellte Täuferstatue nicht erhalten, wir wissen nicht
einmal, aus welchem Material sie war; aber sie mag Donatellos Bronzetäufer oder
Vecchiettas Täufer in Fogliano1) geglichen haben. — Wichtig wurde für Francesco
jene Rappresentazione der Assumptio Virginis, die 1458 in Siena zu Ehren der
Papstwahl Pius’ II. aufgeführt wurde, von der Paolo d’Ancona uns berichtet. Das
bei solchen Aufführungen notwendige „diffizio“ 2), ein Gerüst mit Treppenstufen,
das vermutlich vor der Pferdekapelle des Rathauses aufgeschlagen war, wird von
Francesco bei seinem Assuntabild wiedergegeben, während sein Lehrer Vecchietta,
als dieser 1461, also ebenfalls nach dem Festspiel, eine Assunta für Pienza malte, die
bisher übliche empyräische, schwebende und scheibenartige Komposition beibehielt.
Aus der Zeit der Arbeitsgemeinschaft mit Neroccio, die von 1469—75 nachweis-
bar ist (1469 heiratete Francesco Neroccios Schwester Agnes, dje ihm sieben Kinder
gebar; zwei Töchter heirateten später in Urbino), stammen die beiden großen Altar-
bilder der Sieneser Akademie, die eben erwähnte Assunta und eine Anbetung der
Hirten (Abb. 1 u. 3). Das erstere Bild ist, da die Heiligen Sebastian und Katherina von
Siena darauf vorkommen, mit einem 1472 erfolgten Auftrag für die diesen Heiligen ge-
weihte Kapelle der Kirche des großen Benediktinerklosters Monte Oliveto maggiore
zu identifizieren; zu ihr gehört die schöne Benediktspredella in den Uffizien (N 1304).
Die große Tafel unterscheidet sich wesentlich von den bisherigen Assuntabildern
der Sieneser Schule, auch, wie gesagt, von dem Altarbild, das Vecchietta 1461 für
Pienza gemalt hat. Denn obwohl auch diesem Meister die Erinnerung an 1458 und
das Festspiel lebendig sein mußte, malte er doch die Szene in der alten, empyräisch-
scheibenhaften Weise, ohne Struktur und Architektur. Francesco dagegen gibt den
richtigen szenischen Aufbau des edificio, die doppelseitige Treppe und das erhöhte
Podium, die Sitzbänke der Heiligen und die Trittbretter der Chöre. Dabei bekommt
nun die Einzelform Wucht, Charakter und energische Sonderbildung, der gegen-
über Vecchiettas Typen (z. B. auf dem Altarbild von 1457 in den Uffizien) maniriert
und leer erscheinen. Manche Wandlung hatte die Sieneser Kunst seit Duccios
Tagen durchgemacht; reich und voll hat ihr Hymnus auf blühendes Leben und
entfaltete Fülle, auf zarten Reiz und Frauensüße stets geklungen. Aber ihr war
versagt geblieben, in der kernigen Sonderform das Besondere individueller Charaktere
zu schildern. Das bietet nun Francesco auf der ersten Tafel. Es wäre verführerisch,
nach Florenz hinüber zu denken und von einem Einfluß Verrocchios zu sprechen.
Der aber kennt die Sieneser Marschroute schlecht, der an jeder entscheidenden
Wendung einen Florentiner Wegweiser erwartet. Vielmehr wächst hier aus
(1) Schubring, Die Plastik Sienas im Quattrocento, Abb. 69.
(2) Über solche Diffici vgl. Herzfeld in ihrer Ausgabe des Tagebuches von Luca Landucci, I, S. 39.

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