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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Stübel, Moritz: Briefe von und über Adrian Zingg
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0293

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BRIEFE VON UND ÜBER ADRIAN ZINGG
Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln Von MORITZ STÜBEL

I.
Ludwig Richter erzählt in seinen Lebenserinnerungen, daß Adrian Zingg, sein
Pate, die großen Sepiazeichnungen, die er alljährlich auf die Kunstausstellung
gab, von seinen Schülern, hauptsächlich Richters Vater, komponieren und bis auf
das letzte Tüpfel ausführen ließ und dann ganz naiv seinen Namen darunter setzte.
„Es war dies gar kein Geheimnis und Zinggs akademische Kollegen bezeichneten
die Blätter als Zinggs Ausstellungsarbeit, von Richter gezeichnet.“ Und an einer
anderen Stelle heißt es: „Wir lagen in den Banden einer toten Manier wie alle
Zinggianer, waren in einen Wust von Regeln und stereotypen Formen und Formeln
dermaßen eingeschult, daß ein lebendiges Naturgefühl, die wahre, einfache An-
schauung der Dinge, sich gar nicht regen, wenigstens nicht zum Ausdruck kommen
konnte. Wir plagten und mühten uns ab, die schablonenmäßigen Formen der ge-
zackten Eichenmanier und der gerundeten Lindenmanier, wie Zingg sägte, so ein-
zulernen, daß wir dergleichen mit Leichtigkeit zeichnen konnten.“
Wenn auch Ludwig Richter, der sonst ein sehr anziehendes Bild von seinem
alten Paten entwirft, mit diesen Bemerkungen gewiß recht hat, so hat er ihm
dennoch Unrecht getan. Denn sie treffen nur auf den altgewordenen Künstler zu
und berücksichtigen nicht, was er früher geleistet hat. Geht man dem nach, so
gewinnt man ein anderes Bild von Zingg und seiner Kunst. Ich denke dabei
nicht, oder wenigstens nicht in erster Linie, an die vielen Landschaften, die er in
seinen guten Jahren nach sächsischen und böhmischen Gegenden in Feder und
Tusche geschaffen hat. Auch sie entbehren zwar nicht des künstlerischen Wertes
und haben z. B. auf Ludwig Richter selbst, großen Einfluß ausgeübt; vorwiegend
haben sie aber doch ortsgeschichtliche Bedeutung. Ich denke dabei vielmehr an
den Kupferstecher Zingg, wobei der Ausdruck Kupferstecher in dem engen Sinne
eines Künstlers gebraucht ist, der Gemälde durch Grabstichelarbeit nachbildet, im
Gegensatz zu dem nach eigener Erfindung schaffenden Maler-Radierer. Diese nach-
bildenden Kupferstecher sind bekanntlich ausgestorben. Lithographie, Stahlstich,
Daguerreotypie und die modernen photomechanischen Reproduktionsmethoden haben
ihre Daseinsberechtigung aufgehoben. Auch die Kunstgeschichte schätzt sie nicht
allzu hoch mehr ein, erklärlich genug in einer Zeit, der das künstlerische Erlebnis
und das naive Schaffen alles, Nachahmung Anderer und fleißige technische Vollendung
nicht viel bedeuten. Der Kunstgeschichte als beschreibender Wissenschaft müssen
aber alle Äußerungen des Kunstwollens wichtig sein, wofern sie nur wirklich Kunst
sind und auf dem Boden ihrer Zeit organisch entstanden. Der Umstand, daß zu-
fällige äußere Gründe einen blühenden Zweig der Kunst zum Verdorren gebracht
haben, darf sie nicht beeinflussen; es wird daher keiner weiteren Rechtfertigung
bedürfen, wenn eines ausgezeichneten Vertreters jener nachbildenden Kupferstecher
im folgenden des näheren gedacht wird und einige Briefe mitgeteilt werden, die
ihn und seine Kunst betreffen und uns unmittelbar in die Zeit einführen.
Die meisten nachbildenden Kupferstecher wählten Bildnisse und geschichtliche
Gemälde zum Gegenstand; erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts begann
man auch Landschaften zu stechen. Claude Lorrain, Poussin und ihre Schule,
und von neueren vor allen Josef Vernet lieferten die beliebtesten Vorbilder.
In Zinggs Zeit fällt die Blüte des Landschaftskupferstichs; er hat ihn ausschließlich

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