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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Baum, Julius: Jörk Kändel und die Parallelfalten
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0431

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JÖRG KÄNDEL UND DIE PARALLELFALTEN
Mit zwölf Abbildungen auf fünf Tafeln Von JULIUS BAUM

I.
Die Frage nach der Arbeitsteilung bei der Herstellung des spätgotischen Altar-
schreines mit Flügeln ist in den letzten Jahren oft erörtert worden1). So
viel steht heute fest, daß sie sich nicht einheitlich beantworten, sondern nur von
Fall zu Fall entscheiden läßt. Grundsätzlich ist der Möglichkeit nichts im Wege,
daß ein Maler sich zugleich als Bildschnitzer, ein Bildner sich als Maler betätigt.
Darüber, wie weit dies im Einzelfalle zutrifft, entscheidet in der letzten Instanz
die Stilkritik. Denn Urkunden und Inschriften besagen zunächst nur, wer für das
Kunstwerk rechtlich verantwortlich ist, nicht, wer das Kunstwerk in der Tat ge-
staltet hat.
Es ist eine Ausnahme, daß, wie bei dem Weingartener oder Kaisheimer Altar,
Inschriften, Urkunden oder gleichzeitige literarische Erwähnungen melden, daß ein Altar
nicht einen, sondern mehrere Künstler zu Urhebern hat. In solchen Fällen müssen
skeptische Bedenken bezüglich der Urheberschaft der einzelnen Teile wohl schwinden:
am Weingartener Altar waren unzweifelhaft die gemalten Teile von Holbein, die
geschnitzten von Michel Erhärt gefertigt. Indes, so leicht wie hier ist die Zuteilung
eines Altarwerkes an verschiedene Künstler der Forschung nicht oft gemacht. In
der Regel wird nur ein Künstler als verantwortlich genannt. An den Konstanzer
Domtüren bezeichnet Symon Haider „artifex“ sich ausdrücklich als der Urheber,
obgleich er als Schreiner den Auftrag nachweislich an einen Bildschnitzer weiter
geben mußte, und bei der Verdingung des Schwabacher Altares wird die eigen-
händige Mitarbeit Wolgemuts besonders festgelegt, weil er eben andernfalls die
Ausführung des gesamten Werkes Dritten überlassen hätte. Wenn also der be-
auftragte und verantwortlich zeichnende Künstler, er sei nun Maler oder Bildner,
nicht einmal den Teil der Aufgabe, der in sein eigentliches Schaffensgebiet fällt,
selbst erledigt, um wie viel weniger scheint er für die ihm ferner liegenden Teile
haftbar gemacht werden zu können.
Und dennoch führte eine Verallgemeinerung dieser Annahme zu falschen Schlüssen.
Ergibt sich aus dem Augenschein, daß ein Maler für jeden seiner Altarschreine
sich eines neuen Schnitzers bedient, wie dies bei Herlin und Zeitblom der Fall ist,
so ist die Annahme am Platze, daß der betreffende Maler nicht selbst auch Bild-
werke geschaffen hat. In vielen Fällen — erinnert sei nur an Witz, Multscher,
Pacher, Jvo Strigel, Schaffner — ist jedoch mit größerer oder geringerer Sicher-
heit festgestellt, daß der Künstler nicht nur Maler und Bildschnitzer in der Werk-
statt beschäftigt, sondern selbst auf beiden Gebieten tätig ist. Hier erscheint
Skepsis nur dann berechtigt, wenn die Ergebnisse einer vorsichtigen Stilkritik sich
mit dem urkundlichen Befund durchaus nicht in Einklang bringen lassen. Es ist
zu bedenken, daß es hindernde Zunftschranken, wie sie zuweilen Schreiner und
Bildner trennten, zwischen Malern und Bildnern nicht gab. Ob ein Künstler sich
nur einem oder beiden Gebieten zuwendete, das hing offenbar, abgesehen von der
persönlichen Neigung, auch von äußeren Bedingnissen ab. Wenn schon ein Haider
in Konstanz lange Zeit keinen ansässigen Bildschnitzer fand, wie oft mag dann
wohl in kleineren Städten Mangel an Arbeitskräften den einheimischen Meister zu
(i) Vgl. Dehio, Künstlerinschriften des 15. Jahrhunderts, Repert. für Kunstwissensch. 1910, S. 55fr.;
Kiaiber, Über die zünftige Arbeitsteilung, Monatsh. für Kunstwissensch. 1910, S. 91 ff.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, IX. Jahrg., 1916, Heft 11

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