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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Escher, Konrad: Die sizilische Villa beim Übergang vom Barock zum Klassizismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0013

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T Ton den glänzenden Villen, welche zur Normannenzeit die Nordküste Siziliens
Vschmückten, ist heute keine Spur mehr vorhanden, und seit jener Zeit war das
künstlerische Leben Siziliens auf Jahrhunderte hinaus wie lahmgelegt, um erst seit
Mitte des 16. Jahrhunderts wieder aufzublühen. Während des ausgehenden Barocks,
d. h. im 18. Jahrhundert, beschränken sich dann die maßgebenden Villenbauten auf
die Umgebung der spanischen bzw. österreichischen Residenzstadt Palermo, näm-
lich auf das hügelige Städtchen Bagheria östlich und die fruchtbare Ebene bei
Colli S. Lorenzo und Tommaso Natale westlich.1) Entsprungen sind sie dem gleichen
Bedürfnis wie alle Villenbauten: Genuß der Stille und Befreiung von höfischem Zwang
ohne zu große Entfernung von der Stadt. In Anlage und baulicher Ausgestaltung
unterscheiden sie sich sehr wesentlich von allen übrigen italienischen Villen, und
zwar nicht zu ihrem Vorteil; sie können nur in ihrer unerhört üppigen, fruchtbaren
und farbenprächtigen Umgebung verstanden und genossen werden. Sie sind weit
von der überlegten architektonischen Durchgestaltung der genuesischen und veneziani-
schen entfernt; nie hat sie der Hauch Alessischen oder Palladianischen Geistes be-
rührt. Sie haben weder die vorzügliche Terrainausnutzung und freundliche Anmut
der toskanischen noch die zwingende Macht der römischen Villen; in ihrer Anlage
— vielfach in der Ebene — wie in der Vorliebe für etwas rohes Detail, erinnern sie
an die lombardischen Villen des ausgehenden Barocks,2) sind aber dafür in Anlage
und Aufbau wieder bescheidener, d. h. villenmäßiger im Vergleich zu den prunk-
vollen Palastbauten der lombardischen Ebene. Ohne Zweifel bestimmte der Wunsch,
nicht unmittelbar vor den Toren der Stadt Palermo zu wohnen, wo sie ohnehin
ihre aufwändigen Paläste besaßen, die mächtigsten und reichsten Baronalgeschlechter,
ihre Villen nicht in der Conca d’oro, d. h. an dem fruchtbaren Abhang, der sich von
Monreale zum Meer herabsenkt, anzulegen, so sehr der Boden eine Gestaltung wie
die der römischen und toskanischen Villen begünstigt hätte. Nur Villa Resuttana
wurde vor den Toren der Stadt, d. h. am Südabhang des Monte Pellegrino gebaut,
alle übrigen großen Villen entstanden, wie gesagt, in Bagheria, wo sie unvergleich-
liche Ausblicke westlich auf den Golf von Palermo, östlich auf die abwechslungs-
reiche Nordküste der Insel gewährten.
Alle größeren unter ihnen sind nach einer Achse angelegt, nur hatte diese nicht
dieselbe Macht über die Umgebung wie in den römischen Villen, und man sorgte
sich auch nicht darum, wenn diese Achse gelegentlich gebrochen war. Das Kasino
bildete wohl stets den Abschluß der Fernsicht und den Zielpunkt der Zufahrts-
straße, aber es war nicht so nachdrücklich zu bildmäßiger Wirkung gesteigert wie
sonst; es bildet wohl den Mittelpunkt und die Dominante einer sehr geschickten
architektonischen Gruppierung, aber es fehlt die so wesentliche Mitwirkung der
Vegetation als gruppierendes Mittel. Gärten sind wohl vorhanden, geometrische
Blumen- und dichte Baumgärten, aber sie liegen nebeneinander, ohne daß ein

(1) Giuseppe Pitre, Palermo cento e piu anni fa. Palermo 1904, I, S. 412.
(2) Marcantonio dal Re. Ville di delizie, ossia Palazzi camperecci nello Stato di Milano con le piante
delle medesime. Milano 1743. Neueres Abbildungswerk: Ville e castelle d’Italia. Lombardia e laghi.
2. Aufl. 1907.

DIE SIZILISCHE VILLA BEIM ÜBERGANG
VOM BAROCK ZUM KLASSIZISMUS
Mit vierzehn Abbildungen auf fünf Tafeln Von KONRAD ESCHER

Monatshefte für Kunstwissenschaft, IX. Jahrg. 1916, Heft 1

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