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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Habicht, Victor Curt: Die Herkunft der Kenntnisse Baltasar Neumanns auf dem Gebiet der "Civilbaukunst"
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0058

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DIE HERKUNFT DER KENNTNISSE BALTA-
SAR NEUMANNS AUF DEM GEBIETE DER
„CIVILBAUKUNST“ Von V. CURT HABICHT
Mit zwölf Abbildungen auf acht Tafeln
Der von allen Forschern auf dem Gebiete der Barockkunst regelmäßig vor-
getragenen Klage über die Vernachlässigung dieser Epoche durch die Wissen-
schaft kann man heutzutage billigerweise nicht mehr beipflichten. Gerade die
jüngste Zeit hat eine so lebhafte Betätigung in dieser Hinsicht gezeitigt, daß man
fast eher noch warnen möchte, die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts nicht zu
überschätzen und die vielen brennenden Fragen auf dem Gebiete der mittelalter-
lichen Kunst nicht zu vergessen.
Jedenfalls aber darf man angesichts der außergewöhnlichen Ereignisse dieser
Tage den Wunsch aussprechen, daß unsere Wissenschaft ihrer selbstverständlichen
Pflicht der heimischen Kunst gegenüber noch stärker und ausschließlicher zu ge-
nügen suchen möge, als das seither geschehen ist. Wir sind ja in der objektiven
Beurteilung des künstlerischen Ausdrucks der verschiedenen Zeiten endlich so weit
gekommen, daß ein „geschmäcklerisches“ Urteil nicht mehr darüber zu entscheiden
hat, welche Epoche in Angriff genommen werden soll. Nur daß es ein Gebiet
der lange, lange noch nicht genug erforschten deutschen Kunst sei, darf man aus
mehr als einem, nicht zum wenigsten auch aus wissenschaftlichem Grunde erhoffen.
Was die Kunst der Barockzeit selbst betrifft, so hieße es Tatsachen leugnen,
wenn man die ihr gegenüber angewandte Voreingenommenheit nicht zuletzt auf
den angeblichen ausländischen Charakter derselben zurückführen wollte. Es läßt
sich ja zwar keineswegs abstreiten, daß gerade im 17. und 18. Jahrhundert eine
außerordentlich starke Beeinflussung durch das Ausland stattgefunden hat. Das
wertvollste Ergebnis der jüngsten Forschungen auf diesem Gebiete beruht nun
aber gerade in der Aufhellung der Tatsache, daß die Kunst der Barockzeit, vor
allem die Architektur, in Deutschland auch durchaus ihre eigenen Wege gegangen
ist.1) Und höchst bezeichnenderweise sind es gerade die bedeutenderen Künstler,
bei denen man geradezu von einem fortgesetzten Ringen mit den ausländischen
Vorbildern sprechen kann. Bei näherem Zusehen ergibt sich eine auffallende
Parallele zur Gotik, auf die man ja auch aus anderen Gründen schon aufmerksam
gemacht hat. Zu welcher Tragik sich dieser Kampf steigern konnte, das beweist
aber nichts besser als das Geschick von Neumanns Projekt für das Würzburger
Schloß, das die Franzosen Robert de Cotte und Germain Boffrand aus Mißgunst
und Ränkesucht in wesentlichen Teilen zu Fall gebracht haben und das Neumann
glatt zu stehlen sich Boffrand2) nicht im mindesten gescheut hat. Trotzdem soll
Neumann als der durch französische Vorbilder geschulte Klassizist gelten.
Die überragende Bedeutung, die Neumann für das Werden der rhein-fränkischen
Barockarchitektur zuzusprechen ist, rechtfertigt es wohl, der Frage nachzugehen,
die uns eigentlich am stärksten beschäftigen sollte und für die es seither noch
keine befriedigende Antwort gegeben hat, nämlich der nach der Herkunft seiner
Kunst.
(1) Vgl. W. Pinder, Deutscher Barock, Düsseldorf u. Leipzig, o. J.; K. Lohmeyer, Fr. J. Stengel,
Düsseldorf 1911; ders., Joh. Seiz, Heidelberg 1914: G. Biermann, Barock und Rokoko, Leipzig 1914,
und in diesem Buche A. Feulner, Die Plastik.
(2) Vgl. Boffrand, Livre d’Architecture, Taf. 55—60. Paris 1745 (Fol.).
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