DIE METHODE DER KUNSTGESCHICHTE UND
DIE ALLGEMEINE KUNSTWISSENSCHAFT
. Von R. HAMANN
c) Systematik der Stilperioden.
Die Systemisierung, die wir bisher besprochen haben, bezog sich auf die Einheits-
bildung aller örtlich zerstreuten Werke in einer bestimmten Zeit. Aber
auch bei dem zeitlichen Ablauf der Kunstwerkproduktion besteht das Bedürfnis,
den ganzen Ablauf einheitlich zu charakterisieren und ihn in Abschnitte zu zer-
legen, die, von einem obersten Einheitsbegriff beginnend, ermöglichen, bei einer
übersehbaren Gruppierung zeitlicher Abschnitte Halt zu machen, ohne eine weitere
Spezialisierung in kleinere Abschnitte damit zu unterbinden.
Handelt es sich bei dem Zeitstil um die Zusammenfassung der gleichzeitigen
Kunst eines örtlich ausgedehnten Bezirkes zu einer den Ort einnehmenden Ganz-
heit, so bei der Periodisierung um die Vereinigung der Werke einer längeren Zeit-
strecke unter einen Einheitsbegriff, der die Kunst dieser Periode als Ganzes
charakterisiert und nicht nur als zufällige Gleichheit der einzelnen Werke. Auch
hier versagt Tietze vollständig, wenn er in einer personengeschichtlichen Periodi-
sierung wie die nach Herrschern eine knappe und unzweideutige Charakterisierung
eines Entwicklungsabschnittes sieht. Diese Unzweideutigkeit ist aber für die Kunst-
geschichte so belanglos wie beliebige, zahlenmäßig festgelegte Abschnitte oder die
Einteilung nach Jahrzehnten und Jahrhunderten. Vielmehr handelt es sich darum,
einen zeitlichen Abschnitt, also eine Zusammenfassung von Zeiteinheiten auch
qualitativ zusammenzufassen, soll hier eine innerlich begründete kunstgeschichtliche
Periode vorliegen. Deshalb kann es nie und nimmermehr fraglich sein, ob eine
eigene kunstgeschichtliche Periodisierung empfehlenswert sei. Entweder gibt es
eine solche oder gar keine. Denn wenn kein Einheitsprinzip zeitlich folgende
Werke verknüpft, sondern wir immer gezwungen sind, alle Werke einzeln aufzu-
zählen und zu beschreiben, dann ist der Zeitabschnitt, den wir uns dabei vor-
nehmen, immer willkürlich. Wir behaupten wieder nicht, daß es Perioden gibt,
sondern versuchen aufzuzeigen, welche Struktur ein solcher qualitativ bestimmter
Begriff haben muß, der über die einzelnen Werke hinaus einen größeren Zeit-
abschnitt als Einheit charakterisiert und sich zugleich mit der Originalität der
einzelnen Werke wie der Stetigkeit in der Differenzierung nach ihrer zeitlichen Ab-
folge verträgt, so daß trotz des Gegensatzes zweier aneinander grenzender Perioden
im Ganzen die einzelnen angrenzenden Werke sich ähnlich bleiben. Denn stärker als
bei der örtlichen Zusammenfassung meldet sich bei der zeitlichen Systemisierung das
Problem, daß unmöglich zwischen zwei Perioden ein unmittelbarer Bruch der
qualitativen Bestimmungen eintreten kann, d. h. daß nicht die Werke der einen
Periode sich entsprechen, ebenso die der andern unter sich zusammenstimmen
können, dagegen die zeitlich benachbarten Werke an den Grenzen der Perioden
sich völlig widersprechen sollten.
Die Bedingungen, die ein solcher Einheitsbegriff erfüllen muß, sind die der örtlich-
zeitlichen Kontinuität oder eines Subjektes, das trotz der isoliert und unverbunden
nebeneinander stehenden Werke ein und dasselbe bleibt, d. h. ein historisches In-
dividuum ist, und mit einem Begriff bezeichnet werden kann, und doch einer Ver-
änderung fähig ist, die die stetige Differenzierung der einzelnen Werke bedingt
und erklärt, während sie zur Einheit verknüpft werden. Da diese Verknüpfung eine
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IX. Jahrg. 1916, Heft 4 11 14I
DIE ALLGEMEINE KUNSTWISSENSCHAFT
. Von R. HAMANN
c) Systematik der Stilperioden.
Die Systemisierung, die wir bisher besprochen haben, bezog sich auf die Einheits-
bildung aller örtlich zerstreuten Werke in einer bestimmten Zeit. Aber
auch bei dem zeitlichen Ablauf der Kunstwerkproduktion besteht das Bedürfnis,
den ganzen Ablauf einheitlich zu charakterisieren und ihn in Abschnitte zu zer-
legen, die, von einem obersten Einheitsbegriff beginnend, ermöglichen, bei einer
übersehbaren Gruppierung zeitlicher Abschnitte Halt zu machen, ohne eine weitere
Spezialisierung in kleinere Abschnitte damit zu unterbinden.
Handelt es sich bei dem Zeitstil um die Zusammenfassung der gleichzeitigen
Kunst eines örtlich ausgedehnten Bezirkes zu einer den Ort einnehmenden Ganz-
heit, so bei der Periodisierung um die Vereinigung der Werke einer längeren Zeit-
strecke unter einen Einheitsbegriff, der die Kunst dieser Periode als Ganzes
charakterisiert und nicht nur als zufällige Gleichheit der einzelnen Werke. Auch
hier versagt Tietze vollständig, wenn er in einer personengeschichtlichen Periodi-
sierung wie die nach Herrschern eine knappe und unzweideutige Charakterisierung
eines Entwicklungsabschnittes sieht. Diese Unzweideutigkeit ist aber für die Kunst-
geschichte so belanglos wie beliebige, zahlenmäßig festgelegte Abschnitte oder die
Einteilung nach Jahrzehnten und Jahrhunderten. Vielmehr handelt es sich darum,
einen zeitlichen Abschnitt, also eine Zusammenfassung von Zeiteinheiten auch
qualitativ zusammenzufassen, soll hier eine innerlich begründete kunstgeschichtliche
Periode vorliegen. Deshalb kann es nie und nimmermehr fraglich sein, ob eine
eigene kunstgeschichtliche Periodisierung empfehlenswert sei. Entweder gibt es
eine solche oder gar keine. Denn wenn kein Einheitsprinzip zeitlich folgende
Werke verknüpft, sondern wir immer gezwungen sind, alle Werke einzeln aufzu-
zählen und zu beschreiben, dann ist der Zeitabschnitt, den wir uns dabei vor-
nehmen, immer willkürlich. Wir behaupten wieder nicht, daß es Perioden gibt,
sondern versuchen aufzuzeigen, welche Struktur ein solcher qualitativ bestimmter
Begriff haben muß, der über die einzelnen Werke hinaus einen größeren Zeit-
abschnitt als Einheit charakterisiert und sich zugleich mit der Originalität der
einzelnen Werke wie der Stetigkeit in der Differenzierung nach ihrer zeitlichen Ab-
folge verträgt, so daß trotz des Gegensatzes zweier aneinander grenzender Perioden
im Ganzen die einzelnen angrenzenden Werke sich ähnlich bleiben. Denn stärker als
bei der örtlichen Zusammenfassung meldet sich bei der zeitlichen Systemisierung das
Problem, daß unmöglich zwischen zwei Perioden ein unmittelbarer Bruch der
qualitativen Bestimmungen eintreten kann, d. h. daß nicht die Werke der einen
Periode sich entsprechen, ebenso die der andern unter sich zusammenstimmen
können, dagegen die zeitlich benachbarten Werke an den Grenzen der Perioden
sich völlig widersprechen sollten.
Die Bedingungen, die ein solcher Einheitsbegriff erfüllen muß, sind die der örtlich-
zeitlichen Kontinuität oder eines Subjektes, das trotz der isoliert und unverbunden
nebeneinander stehenden Werke ein und dasselbe bleibt, d. h. ein historisches In-
dividuum ist, und mit einem Begriff bezeichnet werden kann, und doch einer Ver-
änderung fähig ist, die die stetige Differenzierung der einzelnen Werke bedingt
und erklärt, während sie zur Einheit verknüpft werden. Da diese Verknüpfung eine
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IX. Jahrg. 1916, Heft 4 11 14I