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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Freyer, Gerschom Kurt: Zum Problem der Volkskunst: mit Beispielen schleswig-holsteinischer Volkskunst aus dem Flensburger Musuem
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0227

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ZUM PROBLEM DER VOLKSKUNST
MIT BEISPIELEN SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER
VOLKSKUNST AUS DEM FLENSBURGER MUSEUM
Mit vierzehn Abbildungen auf fünf Tafeln. Von KURT FREYER
Wie viele andere Gebiete der Kunst, so hat auch die Volkskunst bisher mehr
eine kulturhistorische und sozialwissenschaftliche Erforschung erfahren, als
eine kunstwissenschaftliche. So hat auch Riegl1) seine Betrachtungen über Volks-
kunst auf die wirtschaftlichen Beziehungen beschränkt, obwohl wir gerade von
ihm mehr erwartet hätten. Er hält es sogar für berechtigt, „die Ergebnisse der
Wirtschaftsgeschichtsforschung für eine wissenschaftliche Fixierung von Wesen und
Umfang der Volkskunst, wenigstens soweit die bildenden Künste daran beteiligt
sind, zu verwerten“ (S. 4). Lassen sich gegen dieses Verfahren schon vom rein
methodologischen Standpunkt aus Einwände erheben — denn das Wesen eines
Kunstgebietes kann doch nur aus seinen künstlerischen Elementen, nicht aus seinen
heterogenen Beziehungen erkannt werden —, so erfordert auch Riegls wirtschafts-
geschichtliche Definition einige Einschränkung. Der wirtschaftswissenschaftliche
Begriff, von dem Riegl ausgeht, ist der des Hausfleißes, d. i. „diejenige Art mensch-
licher Güterproduktion, bei welcher alles, wessen der Mensch zur Lebensführung
bedarf, von ihm selbst und seinen Familiengenossen bereitet, nichts von anderen
eingetauscht oder gekauft wird“ (S. 8). Mit dieser Produktionsweise steht nach
Riegl die Volkskunst in engster Verbindung: „Hausfleiß und Volkskunst bedingen
einander wechselseitig“ (S. 14). Diese Beziehung mag in der Tat in sehr vielen
Fällen, besonders auf der frühesten Stufe, zutreffen, unbedingt bindend, eine gesetz-
mäßige Erscheinung ist sie nicht. Es kann der Fall eintreten, daß ein Kunst-
handwerker durchaus nach den Prinzipien des Hausfleißes arbeitet und dennoch,
etwa weil seine Bildungsstufe oder seine künstlerische Fähigkeit über den Durch-
schnitt seiner Umgebung hinausgeht, kein Werk der Volkskunst erzeugt, sondern
eines, das alle Merkmale der Stilkunst (so wollen wir vorläufig den Gegensatz zur
Volkskunst bezeichnen) aufweist. Und umgekehrt können Erzeugnisse, die durch-
aus den Charakter der Volkskunst tragen, in einer Produktionsweise, die nicht mehr
Hausfleiß ist, entstanden sein, z. B. dadurch, daß das Gebiet ihrer Entstehung von
den Hauptzentren der Kultur zu weit entlegen ist. Bei einzelnen Techniken, wie
Erzguß und Keramik (vor allem auch bei Malerei und Plastik), wird diese Aus-
nahme wohl durchweg zutreffen. So werden wir die Beziehung zwischen Haus-
fleiß und Volkskunst nicht als sicheres Merkmal, sondern allenfalls als Kontroll-
mittel in zweifelhaften Fällen benutzen können.2)
Aus der Verbindung mit dem Hausfleiß entsteht nun nach Riegl die wesentliche
Eigenart der Volkskunst: „Eine Summe von traditionellen Kunstformen, die sämt-
lichen Angehörigen eines Volkes ohne Ausnahme gemeinsam sind“ (S. 13). Die
Hauptbegriffe sind also die Volksgemeinsamkeit und die Tradition. Auch diese
(1) Alois Riegl, „Volkskunst, Hausfleiß und Hausindustrie“ (Berlin 1894). Trotz der Einwände, die
wir gegen diese Schrift zu erheben haben, erscheint sie uns so reich an feinen Bemerkungen, daß
sie ebenso den Verächtern wie den überschwenglichen Lobrednern der Volkskunst zu ruhiger Be-
sinnung empfohlen sei. — Viel weniger klar erfaßt als bei Riegl ist das Problem z. B. bei H. Wolff,
„Die Volkskunst als wirtschaftsästhetisches Problem“ (Halle a. S. 190g).
(2) Riegl selbst ist später (S. 47) aus ähnlichen Gründen wie den unseren geneigt, seine ursprüng-
liche Definition einzuschränken.

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