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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Bombe, Walter: Beiträge zu italienischen Profankunst: die Versnovelle der "Donne del Vergiù" und andere Malereien im Palazzo Davizzi-Davanzati zu Florenz
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0374

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BEITRÄGE zur ITALIENISCHEN PROFAN-
KUNST ♦ I. DIE VERSNOVELLE DER „DONNA DEL·
VERGIÜ“ UND ANDERE MALEREIEN IM PALAZZO DAVIZZI-
DAVANZATI ZU FLORENZ Von WALTER BOMBE
Mit fünfzehn Abbildungen auf sieben Tafeln .................. ........ ...........
Io veggo storie, favole e novelle
Nuove ed antiche, tutte stare a schiera
Dinanzi a me, con lor senbianze belle,
Piü ehe non sono i fior di primavera,
E gli autori, or di queste ora di quelle,
M’invitan con si dolce lor matera
Ch’io non so quäle in prima cominciare
O di quäl piü vi piaccia udir cantare.
II cantare dei cantari, st. 4.

„Cantari“ hießen die Gedichte in Ottaverime, die von Florentiner Bänkelsängern
nach Feierabend oder an Festtagen nachmittags auf den Plätzen der Stadt, be-
sonders auf der Piazzetta von San Martino del Vescovo in der Nähe der Häuser
der Alighieri dem Volke vorgetragen wurden. Jeder dieser Cantari begann und
schloß mit einer Anrufung Gottes, Christi, der Jungfrau Maria und der Heiligen, die
sich oft mit gleichen Ausdrücken wiederholt. Bisweilen stimmen diese Anrufungen
wörtlich überein; so bei dem „Cantare di Gismirante“ von Antonio Pucci und bei
dem „Cantare di Bruto di Brettagna“:

„Γ prego Christo, Padre onnipotente,
Che per gli peccator volle morire,
Che mi conceda grazia nella mente,
Ch’i’ possa chiara mia voluntä dire;

E prego voi, signori e buona gente,
Che con affetto mi dobiate udire.
I’ vi dirö d’una storia novella,
Forse ehe mai noll’ udiste si bella.“

Als Bänkelsänger- und Volkspoesie machen diese Dichtungen meist den Eindruck
des Unpersönlichen, so daß sie von demselben Dichter und aus derselben Zeit her-
zurühren scheinen. Aus diesem Grunde wurden sie früher sämtlich dem bekannte-
sten der mittelalterlichen Florentiner Bänkelsänger, dem schon erwähnten Antonio
Pucci zugeschrieben. Die Cantari behandeln legendäre, klassische und religiöse
Stoffe, oft in zyklischer Form, etwa an den Sagenkreis Karls des Großen und an
Artus und seine Tafelrunde anknüpfend. Beliebte klassische Stoffe sind die Ge-
schichte des Orpheus, Jason und Medea, Perseus und die Meduse, Pyramus und
Thisbe. Religiöse Stoffe wurden gern der Heiligenlegende entnommen. Am häufigsten
aber finden sich legendäre Geschichten, von Merlin dem Zauberer und Morgana la
fata, von Liombruno, von Tristano und Isotta, von der Donna del Vergiu und
andere. Auch Ereignisse der Zeitgeschichte werden behandelt. Einer der frucht-
barsten dieser Bänkelsänger, bekannt unter dem Namen L’Altissimo, hat in nicht
weniger als 94 Gesängen die Geschichte der Könige von Frankreich, Antonio
Pucci fast die ganze Chronik des Giovanni Villani in Terzinen vorgetragen. Die
Geschichte von Florenz spiegelt sich in diesen Bänkelsänger-Liedern wider, die oft
von hoher patriotischer Gesinnung zeugen, und auch die Umdichtungen antiker und
religiöser Stoffe überraschen durch ihre stark national gefärbte Auffassung.
Leben und Farbe aber gewinnen sie in ganz besonderem Maße, wenn sie von
bildenden Künstlern illustriert werden. In Schubrings soeben bei Hiersemann in
Leipzig erschienenem großen Cassonewerk ist zum ersten Male eine reiche Auswahl
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