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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Baum, Julius: Jörk Kändel und die Parallelfalten
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0432

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unfreiwilliger Vielseitigkeit genötigt haben. In dieser Tatsache liegt die Berechtigung
begründet, Maler von Altären, deren Schreinbildwerke unter sich und mit den
Flügelbildern stilistisch übereinstimmen, zugleich als Schnitzer gelten zu lassen,
auch wenn sie sich stets nur als Maler bezeichnen. Dies gilt zum Beispiel für
Jakob Acker in Ulm, den Meister des Altares in Rißtissen, für Jakob Schick in
Kempten, den Schöpfer eines 1515 datierten Altares im Münchener Nationalmuseum
(Kat. VI, Nr. 1321), für Hans Strüb von Veringen, den Meister des Roter Altares
in der Mannheimer Altertümer Sammlung, für Hans Syrer in Reutlingen, den
Schöpfer der Altäre von Ohmenhausen und Rübgarten, und endlich für Jörg
Kändel von Biberach, den Meister der Altäre von Vigens, Tinzen und Seewis.
II.
Unter den oberschwäbischen Künstlern der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
hebt sich Jörg Kändel besonders deutlich von seiner Umgebung ab1). Über seine
Lebensdaten ist wenig bekannt. Im Biberacher Bürgerbuche findet sich zum
Jahre 1502 der Eintrag: „Jörg Kändel, der Mahler, verbürgt mit Hanss Greying“2).
Der Altar in Vigens (Bezirk Glenner) ist 1516 datiert. Der Hochaltar in Tinzen
(Bezirk Albula) trägt auf dem rechten Flügel die Inschrift „Jörg Kandel mäuller ·
Biberach · 1531, 1535“. Der Altar aus Seewis (Bezirk Glenner) im schweizerischen
Landesmuseum zu Zürich ist undatiert und nur „Kender · Maller zu Bibrach“ be-
zeichnet. Obgleich demnach Kändel stets nur als Maler erscheint, so ist doch
seine Malerei nach Umfang und Bedeutung der geringere Teil seiner Tätigkeit.
Selbst die Innenseiten der Altarflügel überläßt er der Bildnerkunst. Der Vigenser
Altar (Abb. i)8) enthält im Schrein die stehende Mutter Gottes, von Engeln gekrönt,
zu ihren Seiten Gruppen von je einer knieenden und einer stehenden Heiligen. Auf
den Innenseiten der Flügel gleichfalls Gruppen, und zwar je einer sitzenden und
einer sich zu ihr niederbeugenden Heiligen. Der Tinzener Altar (Abb. 10) zeigt
im Schrein die Mutter Gottes, umgeben von den Heiligen Katharina, Barbara,
Blasius und Pankratius, auf den Flügeln weitere stehende Heilige, in der Staffel
Christus mit den Aposteln. Der Seewiser Altar endlich (Abb. 9) stellt im Schrein
eine Verkündigung zwischen zwei stehenden weiblichen Heiligen, auf den Innen-
(1) Der Verfasser hat bereits 1913 im Cicerone V, S. 281, darauf hingewiesen, daß Kändel der einzige
bisher sicher greifbare Meister ist, dessen Name mit der Mode der Parallelfalten in Verbindung ge-
bracht werden darf, und für später ausführlichere Nachweise in Aussicht gestellt. Diesen kurzen
Hinweis aufgreifend, doch ohne des Verfassers Mahnung zur Vorsicht zu berücksichtigen, hat dann
Wolter in dem Aufsatz über Bayrische Plastik des 15. und 16. Jahrhunderts in der Festschrift des
Münchner Altertumsvereins, 1914, S. 8zff., nahezu alle Bildwerke mit Parallelfalten, die ihm erreichbar
waren, dem Jörg Kändel zugewiesen, dabei teilweise die Liste von Arbeiten wiederholend, die Mader
schon in seinen Studien über den Meister des Mörlindenkmals (Die christl. Kunst III, 1906/07, S. 156 ff.)
dem Gregor Erhärt zugeschrieben hatte. Die Berichtigung und Ergänzung dieser Liste hätte der
Verfasser gern bis nach einer neuerlichen Besichtigung der in der Schweiz und in Österreich befind-
lichen in Betracht kommenden Bildwerke verschoben, wenn nicht in den Amtlichen Berichten der
Königl. Preußischen Museen 1916, S. n8ff., ein Aufsatz Demmlers über „Eine Augsburger Madonna
im Kaiser-Friedrich-Museum“ erschienen wäre, der zwar mit Recht gegen die unkritische Zusammen-
stellung von Wolter Verwahrung einlegt, aber wiederum nicht den richtigen Ausgangspunkt wählt.
(2) Der von Wolter a. a. O., S. 83, mitgeteilte Wortlaut beruht auf einer Fälschung des Biberacher
Händlers Baur.
(3) Die Photographie verdankt der Verfasser Herrn Bildhauer Schnell in Ravensburg. Sie ist nach
den Abgüssen in der Ravensburger Altertümersammlung gefertigt. Die Photographieen des Seewiser
und Tinzener Altares hat Herr Direktor Dr. Lehmann in Zürich zur Verfügung gestellt.

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