zu nehmen1); und so mußte er 1771 Küfer werden bei dem Weinhändler Bruyn in
Eckernförde. Er tat es in der festen Absicht, mit erreichter Volljährigkeit sich
zur Kunst zu wenden; schonte inzwischen seine rechte Hand, indem er sich ge-
wöhnte, alle schweren Arbeiten mit der Linken auszuführen und wurde in seinem
eifrig betriebenen Zeichenstudium von Bruyn und seiner Frau unterstützt, welche
gerne sahen, wenn er seine Mußestunden mit einer anständigen Zerstreuung aus-
füllte; ihm auch verschiedene Bücher über Kunst verschafften, durch welche seine
Sehnsucht zur großen Historie und klassischen Form bestärkt wurde2). Ihm war
es aber so bitter ernst mit der Kunst, daß er in schwere Krankheit verfiel, als die
gutmeinenden Vormünder und Bruyn ihm Schwierigkeiten machten, nach erreichter
Mündigkeit seine Selbstbestimmung zu erlangen3). Schließlich einigte man sich,
und Carstens ging im Herbst 1776 nach Kopenhagen, mit geringen, auf wenige
Jahre eingestellten Mitteln, 22 Jahre alt und vollkommener Anfänger.
Man wird die Wurzeln seiner technischen Schwäche und seiner ideellen Größe
beide in dieser verfehlten Jugend zu suchen haben. Wer mit 22 Jahren erst an-
fängt und nicht etwa zu einem Meister in die Lehre geht, sondern sich völlig
autodidaktisch weiterbildet, wie es Carstens in Kopenhagen getan hat, kann niemals
die äußere Fertigkeit im Malen erreichen, die damals und heute wieder als un-
umgänglich erschien. Sie hat Carstens sich nie zu eigen gemacht; und die naive
Rücksichtslosigkeit, mit welcher er dem Akademiedirektor Abildgaard seine Mal-
geheimnisse abzulauschen suchte, spricht zwar für seine dunkle Einsicht, daß er
irgend etwas für seine technische Ausbildung tun müsse, nicht aber für den Instinkt,
der etwas als nötig Erachtetes auf dem richtigen Wege sich aneignet4). Wohl aber
hat die Prüfungszeit bei Bruyn und das mühselige Selbstlernen in Kopenhagen
neben der Akademie her von 1776—83 den unschätzbaren Gewinn für ihn gehabt,
seinen Charakter zu stählen und seinen Geist mit dem höchsten Idealismus zu
sättigen. Beides war notwendig zu seiner Sendung, notwendiger als alle Technik;
und dieses Moment muß man sich immer vor Augen halten, wenn man Carstens
(1) Es handelte sich um den Kasseler Hofmaler, Hofrat und Galeriedirektor Joh. Heinr. Tischbein d. Ä.,
bei dem er (wie übrigens auch Wilh. Tischbein 1765) Lehrling und Bedienter werden sollte.
Sach S. 71 ff., Sörrensen, W. Tischbein S. 7.
(2) Das erste Buch über Kunst, das er las, schenkte ihm Frau Bruyn: J. Μ. Krökers Wohlanführender
Staffirmahler. Dann kaufte er sich 1774 in Kiel Daniel Webb, Untersuchungen des Schönen in der
Malerey usw. (entstanden aus dem bekannten Plagiat Webbs an den Ideen von Mengs). Auch
Lairesses Groot Schilderbook scheint er durch Bruyn erhalten zu haben. Vgl. Sach S. 92f., 99, I2off.,
und Riegel-Fernow S. 48ff., 55f. Es ist kein Zufall, daß wie Carstens auch W. Tischbein aus einem
minderwertigen Buch von der Bedeutung der Historienmalerei erfuhr.
(3) Die Unklarheiten des menschlich und rechtlich sehr verwickelten Verhältnisses von Carstens zu
seinen Vormündern und Bruyn in Fernows Darstellung (Fernow-Riegel S. 50) hat Sach S. 125 nach den
Urkunden richtiggestellt. Danach trifft jene der schwere Vorwurf, sich an Carstens Jugend ver-
sündigt zu haben, nicht in der Weise, wie es Carstens selber Fernow erzählt hat. Es bleibt aber der
tragische Konflikt des Genies mit der beschwerlichen Pflichtauffassung der Bürgermoral.
(4) Fernow-Riegel S. 59ff., Sach S. I7iff., insbesondere über Abildgaards Kunst und Charakter.
A. machte aus seiner Maltechnik, die Carstens auch in Rom noch höchster Bewunderung wert schien,
ein Geheimnis; Carstens war aber so sehr von dem Wunsche besessen, malen zu lernen, daß er
sich einmal in seinem Atelier verbarg und hervortrat, als A. zu malen begann. Ihm schien dieser
Überfall gerechtfertigt durch die Notwendigkeit seines inneren Berufes, der ihn über Unzulässigkeiten
einfach hinwegsetzte. Abildgaard blieb seinerseits natürlich verstimmt und riet ihm später, lieber die
Hände von der Kunst zu lassen. Es ist kaum nötig zu bemerken, daß auf diesem Wege auch nichts
zu lernen war. ·
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Eckernförde. Er tat es in der festen Absicht, mit erreichter Volljährigkeit sich
zur Kunst zu wenden; schonte inzwischen seine rechte Hand, indem er sich ge-
wöhnte, alle schweren Arbeiten mit der Linken auszuführen und wurde in seinem
eifrig betriebenen Zeichenstudium von Bruyn und seiner Frau unterstützt, welche
gerne sahen, wenn er seine Mußestunden mit einer anständigen Zerstreuung aus-
füllte; ihm auch verschiedene Bücher über Kunst verschafften, durch welche seine
Sehnsucht zur großen Historie und klassischen Form bestärkt wurde2). Ihm war
es aber so bitter ernst mit der Kunst, daß er in schwere Krankheit verfiel, als die
gutmeinenden Vormünder und Bruyn ihm Schwierigkeiten machten, nach erreichter
Mündigkeit seine Selbstbestimmung zu erlangen3). Schließlich einigte man sich,
und Carstens ging im Herbst 1776 nach Kopenhagen, mit geringen, auf wenige
Jahre eingestellten Mitteln, 22 Jahre alt und vollkommener Anfänger.
Man wird die Wurzeln seiner technischen Schwäche und seiner ideellen Größe
beide in dieser verfehlten Jugend zu suchen haben. Wer mit 22 Jahren erst an-
fängt und nicht etwa zu einem Meister in die Lehre geht, sondern sich völlig
autodidaktisch weiterbildet, wie es Carstens in Kopenhagen getan hat, kann niemals
die äußere Fertigkeit im Malen erreichen, die damals und heute wieder als un-
umgänglich erschien. Sie hat Carstens sich nie zu eigen gemacht; und die naive
Rücksichtslosigkeit, mit welcher er dem Akademiedirektor Abildgaard seine Mal-
geheimnisse abzulauschen suchte, spricht zwar für seine dunkle Einsicht, daß er
irgend etwas für seine technische Ausbildung tun müsse, nicht aber für den Instinkt,
der etwas als nötig Erachtetes auf dem richtigen Wege sich aneignet4). Wohl aber
hat die Prüfungszeit bei Bruyn und das mühselige Selbstlernen in Kopenhagen
neben der Akademie her von 1776—83 den unschätzbaren Gewinn für ihn gehabt,
seinen Charakter zu stählen und seinen Geist mit dem höchsten Idealismus zu
sättigen. Beides war notwendig zu seiner Sendung, notwendiger als alle Technik;
und dieses Moment muß man sich immer vor Augen halten, wenn man Carstens
(1) Es handelte sich um den Kasseler Hofmaler, Hofrat und Galeriedirektor Joh. Heinr. Tischbein d. Ä.,
bei dem er (wie übrigens auch Wilh. Tischbein 1765) Lehrling und Bedienter werden sollte.
Sach S. 71 ff., Sörrensen, W. Tischbein S. 7.
(2) Das erste Buch über Kunst, das er las, schenkte ihm Frau Bruyn: J. Μ. Krökers Wohlanführender
Staffirmahler. Dann kaufte er sich 1774 in Kiel Daniel Webb, Untersuchungen des Schönen in der
Malerey usw. (entstanden aus dem bekannten Plagiat Webbs an den Ideen von Mengs). Auch
Lairesses Groot Schilderbook scheint er durch Bruyn erhalten zu haben. Vgl. Sach S. 92f., 99, I2off.,
und Riegel-Fernow S. 48ff., 55f. Es ist kein Zufall, daß wie Carstens auch W. Tischbein aus einem
minderwertigen Buch von der Bedeutung der Historienmalerei erfuhr.
(3) Die Unklarheiten des menschlich und rechtlich sehr verwickelten Verhältnisses von Carstens zu
seinen Vormündern und Bruyn in Fernows Darstellung (Fernow-Riegel S. 50) hat Sach S. 125 nach den
Urkunden richtiggestellt. Danach trifft jene der schwere Vorwurf, sich an Carstens Jugend ver-
sündigt zu haben, nicht in der Weise, wie es Carstens selber Fernow erzählt hat. Es bleibt aber der
tragische Konflikt des Genies mit der beschwerlichen Pflichtauffassung der Bürgermoral.
(4) Fernow-Riegel S. 59ff., Sach S. I7iff., insbesondere über Abildgaards Kunst und Charakter.
A. machte aus seiner Maltechnik, die Carstens auch in Rom noch höchster Bewunderung wert schien,
ein Geheimnis; Carstens war aber so sehr von dem Wunsche besessen, malen zu lernen, daß er
sich einmal in seinem Atelier verbarg und hervortrat, als A. zu malen begann. Ihm schien dieser
Überfall gerechtfertigt durch die Notwendigkeit seines inneren Berufes, der ihn über Unzulässigkeiten
einfach hinwegsetzte. Abildgaard blieb seinerseits natürlich verstimmt und riet ihm später, lieber die
Hände von der Kunst zu lassen. Es ist kaum nötig zu bemerken, daß auf diesem Wege auch nichts
zu lernen war. ·
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