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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Zucker, Paul: Zur Kunstgeschichte des klassizistischen Bühnenbildes
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0081
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pice) — im schärfsten Gegensatz zu den Bühnenarchitekturen bibienesker Rich-
tung der gleichen Zeit, die eben nur in Pappe und Leinewand denkbar bleiben.
Wie auf Servandoni, so war Rom auch auf dessen jüngeren Zeitgenossen
Gabriel Pierre Martin Dumont von entscheidendem Einfluß. Als Rom-
preisträger der französischen Akademie hielt er sich längere Zeit in Rom und
Italien auf, wurde Mitglied der Akademien von Florenz, Bologna und der römi-
schen von S. Luca und lebte dann wieder seit 1755 in Paris. Die Eigenart dieses
heute noch lange nicht genügend gewürdigten Künstlers bestand in seiner merk-
würdigen Verquickung archäologischer Forschung und bühnendekorativer Ent-
würfe. Sowohl seine archäologischen Aufnahmen wie auch seine kühnen Rekon-
struktionen antiker Gebäude gibt er in Form von Szenenbildern. Immer eignet
ihnen ein monumentaler, ins Große gehender Zug. Zur Aufnahme in die
römische Akademie di S. Luca entwirft er 1746 einen phantastischen Ehren-
tempel der Künste, der als idealer Zentralbau auf der Grundrißform des Dreiecks
angesehen werden kann ,. Die Perspektive dieses vorher in Grundriß und Auf-
riß wiedergegebenen Phantasieentwurfs wird betitelt: „Assur et Cedar, dans
la scene IV du II. acte de la tragedie de Semiramis." Für ihn scheint also jeder
architektonische Phantasieentwurf eo ipso den Bedingungen des Theaters zu
entsprechen, denn nach dem gleichen Verfahren stellt er auch einen Friedens-
tempel dar, den er 1764 ebenfalls der Akademie di S. Luca einreicht. Auch
die Perspektive dieses in sehr einfachen und strengen klassischen Formen
gehaltenen Zentralbaues wird betitelt: „Scene IIme du premier Acte de la Tragedie
d'lphigenie en Tauride" (vgl. Abb. 2). Die Innenperspektiven all dieser Entwürfe
sind insgesamt sichtlich unter der Voraussetzung einer theaterdekorativen Wirkung
entworfen. Alle seine Dekorationen bringen absolut symmetrische Innen- und
Außenarchitekturen. Die Säulenordnungen sind im allgemeinen recht einfach
gehalten, die Verkröpfungen auf das notwendige Mindestmaß beschränkt, der
Eindruck fast stets ein recht strenger (vgl. Abb. 3). Auf dem Blatt: „Scene 3me, du
2 me Acte des Fourberiers de Scapin, Comedie de Moliere" wird der Ernst der Archi-
tektur durch offene Kolonnadengänge gemildert, leichte Dekorationsmotive, Gir-
landen und Festons beleben die Flächen. Im Hintergrund ein Tor mit Durch-
blick auf die Landschaft. Dort, wo eigentlich landschaftliche Motive vorhanden
sind, ist deren Wiedergabe recht naturalistisch.
Zwei Blätter dieser Veröffentlichung müssen noch wegen der eigenartigen
Verknüpfung von Archäologie und Theaterdekoration hervorgehoben werden.
„Scene Vme du IIme Acte de la Tragödie de Philoctete" bringt eine vollendete
Wiedergabe des Poseidontempels von Pästum, mit dem er sich seinerzeit archäo-
logisch besonders eingehend beschäftigt hatte (vgl. Abb. 4). Auf wieder anderen
Blättern wird die zweifache Beziehung der Darstellung bereits in der Betitelung
ausgedrückt, z. B.: „Vestiges de l'interieur d'un Temple ou Basilique de l'ancienne
ville de Paestum tels qu'ils existoient en 1750." „Pirrhus seul dans la Scene
Premiere de l'Acte Vme de la Tragedie de Philoctete." In einer anderen Ver-
öffentlichung, die ausschließlich den Theater gewidmet ist2), geht er auch
theoretisch auf die Konstruktion des Bühnenbildes ein. Er nimmt die Höhe
des Augenpunktes in Augenhöhe des Schauspielers an, der an der vordersten

(1) Vgl. G. M. Dumont. Suite de projets dötailles des Salles de Spectacles particulieres
avec les principes de construction, tant pour la Mechanique des Thöätres. Paris o. J. (1773).

(2) Vgl. G. M. Dumont. Parallele des plans des plus belles salles de spectacles d'Italie
et de France. Paris o. J.

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