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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Rintelen, F: Dante über Cimabue II
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0113
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Bei der Wahl dieser Autoritäten war seine Hand nicht glücklich. Zuerst zitiert
er Heinrich Finkes wichtige Abhandlung über „Dante als Historiker"1). Fast
scheint es, er tue das einzig, um durch den Klang eines so geachteten Namens
Uneingeweihte gegen mich in Stimmung zu versetzen. Denn Finkes Aufsatz hat mit
unserer Frage äußerst wenig, eigentlich kaum etwas zu tun. Er handelt von dem
Geschichtsbild, das Dante im Kopf gehabt hat, und findet es durchsetzt mit philo-
sophischen Wertungen und persönlichen Urteilen des Hasses und der Sympathie;
Dante sei nicht ein zünftiger Historiker, sondern habe den Charakter eines Drama-
tikers. Nun ist es immer Dante der politische „Historiker", mit dem Finke sich
beschäftigt, und es erscheint ganz unerlaubt, die Beobachtungen auf jenem leiden-
schaftbeherrschten Gebiet ohne weiteres auf die friedlichen Gefilde der Kunst an-
zuwenden. Um so unerlaubter, als das, was wir eben, im Anschluß an Dvorak,
aus Finkes Aufsatz mitteilten, keineswegs dessen Kern und eigentlichen Inhalt
bildet. Finke schrieb seine Abhandlung nicht, um vor Dante als Nachrichten-
übermittler zu warnen, sondern genau in der entgegengesetzten Absicht. Er bewies
gerade, daß Dante trotz allem nicht jener historische Subjektivist gewesen sei, als
welcher er bisweilen hingestellt wird2). Gerade das wünschte er zu lehren, daß
auch im patriotischen Paroxismus, auch in der philosophischen Interpretation Dante
stets die Situation, die Tatsache selbst richtig gezeichnet habe ").
Oder feiert er seinen Helden nicht als echten, wennschon nicht „zünftigen"
Geschichtsschreiber, wenn er sagt: „Bei Personenzeichnung ist es die wunderbare
Technik, in einer Zeile, einem Schlager, den Menschen äußerlich und im Wesen
zu charakterisieren. Selbst in einer abstrusen Sprache vermag er verwickelte poli-
tische Komplikationen durch Hervorhebung des Maßgebenden lichtvoll zu gestalten"4).
Die Sätze aber, die Dvorak aus Finke zitiert, sind nichts als die gebührende Ein-
schränkung der Haupterkenntnis, daß Dante eben als Historiker oder doch histo-
rische Quelle sehr ernst zu nehmen ist. Und eine solche Abhandlung macht
Dvorak geltend, um den kunstgeschichtlichen Quellenwert unserer so einfachen und
klaren Danteverse zu verdächtigen!
Aber die skrupellosen Finkezitate genügten ihm noch nicht; die ganze Dante-
steile sollte womöglich in Dunst aufgehen. Dafür war ein Historiker denn doch
nicht zu gebrauchen, und Dvorak wandte sich an die mehr philosophisch, als histo-
risch gerichtete dreibändige Danteerklärung von Karl Voßler. Er führt diese
zweite Autorität mit der Versicherung ein, daß Vossler einer der geistvollsten
Kenner der Komödie sei. Soweit Deutschland in Betracht kommt, ist dieses Lob
gewiß verdient, aber es hat, Gott sei's geklagt, heute nicht mehr sehr viel zu be-
deuten, denn, so ausgezeichnete Gelehrte sich bei uns noch jetzt mit Dante be-
schäftigen, die eigentliche, einstmals bei den Deutschen so blühende Dantekunde,
die, welche ganz mit ihrem Gegenstände eins ist, die ist schon lange in ihre
Heimat zurückgekehrt, und wenn man eines ganz besonders an Voßler rühmen
darf, so ist es, daß er von den Italienern viel gelernt hat. Aber Dvorak hat recht,
wenn er ihn einen geistvollen Interpreten Dantes nennt. Das ist Voßler; er ist
es sogar allzusehr: Der Philosoph und der Poet in ihm sind stärker als seine An-
schauungskraft und seine Objektivität; den Spiritualismus treibt er gefährlich weit.

(i) Histor. Zeitschr. 1910.

@ p. 493.

(3) p. 480, 487.

(4) p. 477.

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