Das schließt nicht aus, und ich selbst habe darauf allen Nachdruck gelegt, daß
Giotto sehr bald an der Kunst seines wichtigsten Vorgängers kein Genüge mehr
gefunden hat und daß ihm von anderwärts Ideen zugewachsen sind, die seiner
Kraft viel freiere Entfaltung gestatteten. Das ist der natürliche Prozeß, in welchem
die wirklich große Leistung entsteht, und es käme mir seltsam vor, wenn gerade
ich mich noch dagegen verwahren sollte, als glaubte ich, das sehr wahrscheinliche
Schülerverhältnis Giottos zu Cimabue bedeute soviel, als sei das Wesentliche des
Jüngeren schon bei dem Älteren zu finden.
Aber die Vertiefung in die Leistungen Giottos hat mich nicht blind dagegen ge-
macht, daß bei Dante mit aller erdenklichen Deutlichkeit steht, Giotto zwar sei
der ruhmvollere von beiden Malern gewesen, aber Cimabue habe vor ihm den
ersten Platz eingenommen.
*
Dvorak ist sehr ungehalten, daß ich Wickhoffs Behandlung der Danteverse einer
Beurteilung unterworfen habe; ich will ihm beweisen, daß Wickhoff auch weiter-
hin gerade die Urquellen des Vasarischen Berichts, nicht sowohl freigelegt, als
vielmehr beunruhigt hat. Betrachten wir doch ein wenig seine Exegese des ano-
nymen Florentiner Dantekommentators, der, noch dem 14 Jahrhundert angehörig,
den umfangreichsten alten Bericht über Cimabue hinterlassen hat. Wieviel oder
wie wenig Wert diesem Kommentator im allgemeinen zuzuschreiben ist, geht uns
dabei zunächst nichts an; wir halten uns, ebenso wie Wickhoff, einzig an den
Cimabuepassus und dessen nächste Nachbarschaft und sehen zu, aus welchen
Gründen Wickhoff diesen für belanglos erklärt hat. Es heißt also in der Erklärung
zu Dantes Versen über Cimabue: 1. Fu da Firenze. 2. Grande e famoso dipintore,
tanto che al tempo suo in Italia non si trovava maggiore maestro di dipingere.
3. E fu maestro di Giotto dipintore. 4. Et uno palio fra gli altri notabile di mai-
sterio in S. Maria Nuova di Firenze. 5. Et ancora sono ivi suoi discendenti. Ich
frage: kann man sich ein Zutrauen erweckenderes Nachrichtenbündel als diesen
kurzen Abschnitt denken? Keine Redensart, nichts Unbestimmtes, nicht eine einzige
Angabe, die nicht ein Florentiner im späten Trecento zu machen in der Lage hätte
sein können.
Satz 1: Cimabue stammte aus Florenz, eine wichtige Ergänzung zu Dante, aufs
beste gestützt durch Satz 5, der berichtet, daß Cimabues Nachfahren noch in
Florenz ansässig sind; Satz 2: Cimabue war der beste Maler seinerzeit in Italien.
Das ist so wie der Satz dasteht und gemäß dem Stil des Anonimo eine Nachricht,
eine Bestätigung Dantes, und niemand ist ohne weiteres berechtigt, den Satz für
eine bloße rhetorische Ausspinnung der Danteverse zu erklären. Der Anonymus
ist durchaus kein Rhetor. Aber auch wenn es nur eine Ausspinnung wäre, nun
gut, dann hätte eben auch dieser Trecentist dasselbe aus Dante herausgelesen,
was außer Wickhoff und seinen Anhängern bis heute alle daraus gelesen haben.
Satz 3 ist wiederum eine Nachricht, die man unmöglich, wie Wickhoff meinte, da-
durch um ihren Kredit bringen kann, daß man aus der Antike einige Beispiele
von Mythenbildung in bezug auf Lehrer und Schülerverhältnis zwischen Künstlern
zum besten gibt. Tatsächlich erheben die Worte Dantes und die Nachricht des
Anonimo, Cimabue sei von Florenz gewesen, zusammengenommen schon für sich
die Angabe, Giotto sei Cimabues Schüler gewesen, zum höchsten Grade der durch
Quelleninterpretation überhaupt zu gewinnenden Wahrscheinlichkeit, und dem Un-
voreingenommenen ist darum der Satz 3 nichts als die Bestätigung einer natürlichen
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Giotto sehr bald an der Kunst seines wichtigsten Vorgängers kein Genüge mehr
gefunden hat und daß ihm von anderwärts Ideen zugewachsen sind, die seiner
Kraft viel freiere Entfaltung gestatteten. Das ist der natürliche Prozeß, in welchem
die wirklich große Leistung entsteht, und es käme mir seltsam vor, wenn gerade
ich mich noch dagegen verwahren sollte, als glaubte ich, das sehr wahrscheinliche
Schülerverhältnis Giottos zu Cimabue bedeute soviel, als sei das Wesentliche des
Jüngeren schon bei dem Älteren zu finden.
Aber die Vertiefung in die Leistungen Giottos hat mich nicht blind dagegen ge-
macht, daß bei Dante mit aller erdenklichen Deutlichkeit steht, Giotto zwar sei
der ruhmvollere von beiden Malern gewesen, aber Cimabue habe vor ihm den
ersten Platz eingenommen.
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Dvorak ist sehr ungehalten, daß ich Wickhoffs Behandlung der Danteverse einer
Beurteilung unterworfen habe; ich will ihm beweisen, daß Wickhoff auch weiter-
hin gerade die Urquellen des Vasarischen Berichts, nicht sowohl freigelegt, als
vielmehr beunruhigt hat. Betrachten wir doch ein wenig seine Exegese des ano-
nymen Florentiner Dantekommentators, der, noch dem 14 Jahrhundert angehörig,
den umfangreichsten alten Bericht über Cimabue hinterlassen hat. Wieviel oder
wie wenig Wert diesem Kommentator im allgemeinen zuzuschreiben ist, geht uns
dabei zunächst nichts an; wir halten uns, ebenso wie Wickhoff, einzig an den
Cimabuepassus und dessen nächste Nachbarschaft und sehen zu, aus welchen
Gründen Wickhoff diesen für belanglos erklärt hat. Es heißt also in der Erklärung
zu Dantes Versen über Cimabue: 1. Fu da Firenze. 2. Grande e famoso dipintore,
tanto che al tempo suo in Italia non si trovava maggiore maestro di dipingere.
3. E fu maestro di Giotto dipintore. 4. Et uno palio fra gli altri notabile di mai-
sterio in S. Maria Nuova di Firenze. 5. Et ancora sono ivi suoi discendenti. Ich
frage: kann man sich ein Zutrauen erweckenderes Nachrichtenbündel als diesen
kurzen Abschnitt denken? Keine Redensart, nichts Unbestimmtes, nicht eine einzige
Angabe, die nicht ein Florentiner im späten Trecento zu machen in der Lage hätte
sein können.
Satz 1: Cimabue stammte aus Florenz, eine wichtige Ergänzung zu Dante, aufs
beste gestützt durch Satz 5, der berichtet, daß Cimabues Nachfahren noch in
Florenz ansässig sind; Satz 2: Cimabue war der beste Maler seinerzeit in Italien.
Das ist so wie der Satz dasteht und gemäß dem Stil des Anonimo eine Nachricht,
eine Bestätigung Dantes, und niemand ist ohne weiteres berechtigt, den Satz für
eine bloße rhetorische Ausspinnung der Danteverse zu erklären. Der Anonymus
ist durchaus kein Rhetor. Aber auch wenn es nur eine Ausspinnung wäre, nun
gut, dann hätte eben auch dieser Trecentist dasselbe aus Dante herausgelesen,
was außer Wickhoff und seinen Anhängern bis heute alle daraus gelesen haben.
Satz 3 ist wiederum eine Nachricht, die man unmöglich, wie Wickhoff meinte, da-
durch um ihren Kredit bringen kann, daß man aus der Antike einige Beispiele
von Mythenbildung in bezug auf Lehrer und Schülerverhältnis zwischen Künstlern
zum besten gibt. Tatsächlich erheben die Worte Dantes und die Nachricht des
Anonimo, Cimabue sei von Florenz gewesen, zusammengenommen schon für sich
die Angabe, Giotto sei Cimabues Schüler gewesen, zum höchsten Grade der durch
Quelleninterpretation überhaupt zu gewinnenden Wahrscheinlichkeit, und dem Un-
voreingenommenen ist darum der Satz 3 nichts als die Bestätigung einer natürlichen
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