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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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West, Robert: Der Meister von Grossgmain
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0259

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aber sie genügt zu einer Identifizierung der beiden Meister ebenso wenig wie
die allgemeine Ähnlichkeit einiger Gesichtstypen. Gerade der Vergleich dieser
sorgfältigen und doch mühelosen Komposition mit den unbeholfenen Bildern
der Wiener Galerie zeigt einen so gewaltigen Abstand, daß der Unterschied von
acht Jahren nicht zur Erklärung dienen kann.
Hinter dem Hohenpriester steht ein junger Diakon, kleiner gezeichnet als die
übrigen Figuren, gemäß seiner Stellung im Hintergrund. Diese Figurenperspek-
tive wird von dem Meister immer genau beobachtet, trotzdem er sonst in dieser
Hinsicht noch durchaus Unsicher ist. Es ist interessant, wie diese Figuren ledig-
lich durch ihre Stellung und koloristische Behandlung zum Schlußglied in der
mit Maria beginnenden Kette bezeichnet wird, denn psychisch erscheint der junge
Geistliche völlig losgelöst von, der Szene. Der Ausdruck des scharf markierten
Gesichtes ist gleichgültig und hochmütig. Ohne Teilnahme an der Handlung,
bloß in Erfüllung seines Amtes steht er am Altar. Die Magerkeit des Gesichtes,
die eingesunkenen Backen, die halbgesenkten Lider, der festgeschlossene Mund
mit den nach unten gebogenen Winkeln erinnern an mönchische Askese. Es
liegt etwas Gequältes, in sich selbst Verbohrtes und Verbissenes in diesem jungen
Gesicht, das uns erst ganz zum Bewußtsein kommt, wenn wir es mit der stillen
Würde und abgeklärten Ruhe des älteren Priesters vergleichen1). Die violette
Mütze ist tief in die Stirn gedrückt, der ganze Kopf hebt sich vom Goldgrund
ab. Das Humerale ist zitronengelb, das Kleid weiß mit violetten Schatten.
Dieses weiße Kleid ist viel wärmer, lockerer und duftiger gemalt als das Kopf-
tuch der Madonna, so daß wir für letzteres wohl den Restaurator verantwortlich
machen dürfen. Über die linke Schulter zieht sich ein breiter roter Streifen. Diese
Gestalt füllt den ganzen langen und schmalen Raum aus, der zwischen dem
Hohenpriester und dem rechten Bildrand übrig blieb. Ihr entspricht gegenüber
die zunächst dem Altar stehende Frau, die ganz so gezeichnet ist, daß man deut-
lich die Absicht des Künstlers erkennt, hier nichts anderes als eine raumfüllende
Figur zu geben. Das weiße Kopftuch ist ihr vorn so über das Gesicht gefallen,
daß es die Augen fast ganz verdeckt und alle Aufmerksamkeit von dem schon
ohnehin belanglosen Kopf ablenkt. Der Mantel ist dunkelblau, die Kleiderärmel
rot. Zusammen mit dem olivgrünen Mantel der zweiten Frau bringen diese
Farben einen kraftvollen tiefen Ton auf diese Bildseite, der das Gleichgewicht
herstellt zu der schwerwiegenden Figurengruppe gegenüber. Diese zweite Frau
entspricht dem Hohenpriester, und gerade durch diesen kompositionellen Zu-
sammenhang fällt die gewollte Gleichgültigkeit auf, mit der sie der Maler be-
handelt hat. Das dumme, blasse Gesicht wird umrahmt von einem mächtigen
weißen Kopftuch, die Gebärde, mit welcher die rechte Hand auf die Tauben des
Joseph deutet, hat etwas linkisches und langsames.
Im Joseph finden wir wieder einen prächtigen Porträtkopf. Der Typus ist
dem des Simeon nicht unähnlich, so daß diese beiden sich in der Bildsymmetrie
entsprechenden Figuren auch durch eine gewisse soziale Zusammengehörigkeit
hervorgehoben sind. Joseph ist etwa gleichaltrig mit Simeon gedacht. Der Aus-
druck ist mürrisch, es ist das Gesicht eines braven Spießbürgers, der sein Leb-
tag, weder Sonne noch Luft gekannt hat. Er trägt den Bart in zwei Spitzen ge-
teilt wie Simeon, sein volles weißes Haar ist von der hohen, gut modellierten
(i) Das Profil ist mit dicken braunen Pinselstrichen umrissen, die Nase steht aber nicht
genau, in der ihr vorgezeichneten Silhouette, der Kopf ist anders hineingestellt, als es die
ursprüngliche Zeichnung zu beabsichtigen scheint.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, X. Jahrg. 1917, Heft 5

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